An einem Tag im Januar
war um die Auseinandersetzung auf dem Schulhof gegangen: ob Beth Reilly richtig reagiert hatte – ob sie schnell genug eingeschritten war, ob sie überhaupt richtig aufgepasst hatte. Wie es jetzt weitergehen sollte. Chloe – eine Lehrerkollegin, eine Mutter – hatte sich wie eine gereizte Bärin gebärdet; sie wollte die Eltern der anderen Kinder selbst anrufen. Mark versuchte abzuwiegeln. Eine Hänselei im Pausenhof, sagte er ihr, sei kein Weltuntergang, er habe es selbst oft genug mitgemacht. Letztlich würde Brendan daraus lernen, so wie sein Vater auch. Es würde besser für ihn sein, wenn er und die Jungs die Sache unter sich ausmachten. Aber davon hatte Chloe nichts wissen wollen.
Ihr Streit war an sich nichts Ungewöhnliches; sie hatten oft gestritten im letzten Jahr. Diesmal jedoch war der Graben besonders tief. Chloe, die bei allen Beliebte, die Kämpferin, wollte es einfach nicht begreifen. Mark konnte sich den Mund fusselig reden. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass es nicht mehr zu ändern war.
Chloe war wütend ins Bett gegangen, während Mark wie so oft in den letzten zwei Jahren aufgeblieben war, um einen Whiskey-Cola zu trinken und dann noch einen. Am nächsten Morgen war er spät und mit dickem Kopf aufgewacht. Als er sich zu Chloe und Brendan an den Frühstückstisch setzte, sagte Chloe kühl: Du riechst wie eine Kneipe.
Echt eklig, bestätigte Brendan, der eins von seinen Spielzeugautos an der Tischkante entlangschob, und Mark musste sich zusammenreißen, um sie nicht beide anzuschnauzen.
Dann verkündete Chloe, dass sie sich mit ihren Freundinnen zum Mittagessen treffen würde, und Mark, der nach ihrem eisigen Abschied nichts anderes wollte, als sich vor dem Fernseher seinem Missmut hinzugeben, saß stattdessen mit Brendan da, der an ihm hing wie eine Klette. Brendan blieb am Küchentisch sitzen und malte, egal wie oft Mark ihm befahl, sein Zimmer aufzuräumen, ihn an ihren immer gleichen Samstagspakt erinnerte: Brendan musste gleich Samstag vormittags sein Zimmer aufräumen, dann, und nur dann, durfte er mit seinem Vater Basketball sehen.
Aber Brendan schaltete auf stur. Daddy, bat er beharrlich, spielst du mit mir ein Spiel? Bitte bitte bitte …
Brendan! Lauf hoch, und räum dein Zimmer auf. Sonst machen wir überhaupt nichts.
Das gestrige Unglück spukte beiden noch im Kopf herum, und was war passiert? Mark wurde langsam, aber sicher böse, während Brendan sich in einen Tobsuchtsanfall hineinsteigerte. Er folgte Mark ins Wohnzimmer, schluchzend erst, dann laut kreischend, bevor er sich bäuchlings aufs Sofa schmiss und um sich trat, und Mark stand in ohnmächtigem Zorn daneben und sah zu.
Dachte: Was soll ich noch hier?
Dachte: du blödes kleines Weichei.
Er wurde laut – was ihm fast nie passierte. Schickte Brendan nach oben. Brendan maß ihn mit dem Blick des tödlich Verratenen, ehe er sich umdrehte und davonstampfte.
Und dann war Brendan oben, wütend, türenknallend, Spielzeug durch die Gegend pfeffernd, bevor endlich – endlich! – Ruhe einkehrte. Mark hätte zu ihm gehen können, aber er blieb sitzen. Schenkte sich einen Drink ein, trank ihn. Sagte sich, Scheiß drauf, schenkte sich noch einen ein. Mit schweren Lidern verfolgte er das Spiel. Er dachte an Beth Reilly, zog sie in Gedanken aus. Er rekapitulierte den Streit mit Chloe. Er schmollte, so stumm wie sein Sohn.
Er hätte nach Brendan schauen können. Er hätte die Treppe hinaufrufen können: Ich hör dich nicht aufräumen! Alles besser als das, was er getan hatte: nichts.
Und dann das schwere, dumpfe Poltern, der kleine, spitze Aufschrei, der mittendrin abbrach.
Unerledigte Aufgaben? Ein ungesühntes Unrecht?
Brendan war nicht zum ersten Mal in sein Zimmer geschickt worden. Sie disziplinierten ihn öfter auf diese Weise: Wenn er sich nicht wie ein großer Junge benehmen konnte, bekam er eine Auszeit verordnet. Mark hatte ihn nicht geschlagen, ihm kein Leid zugefügt. Ihn angeschrien, gut, aber das war kein Verbrechen. Brendan war gestorben, weil er ungehorsam gewesen war. Weil er hatte weglaufen wollen. Weil sein Schnürsenkel herunterhing. Weil er seinen Rucksack mit zu vielen Spielsachen und Büchern vollgepackt hatte.
Wahrscheinlich die ganze Zeit in sich hineinmurmelnd: Ich bin kein Weichei! Klatsch, flog das nächste Stofftier an die Wand. Keine Spur!
Ich werd’s denen schon zeigen!
Ich werd’s ihm zeigen!
»Mark?« Lew beobachtete ihn stirnrunzelnd.
»Nein«, sagte Mark. »Nichts.«
Lewis
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