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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nein, vielleicht kam es doch von unten. Oder gar die Treppe herauf, ihr entgegen.Ein Schrei entfuhr ihr, und ihr hämmernder Herzschlag vermischte sich mit dem Geräusch von Schritten, die lauter und schwerer waren als dieses schreckliche Getrippel.
    Ein Lichtstrahl leuchtete die Treppe zu ihr hinauf. »Wer ist da?«
    Sie erkannte Alec Hunters Stimme. »Ich bin’s!«, rief sie. »Ellen Kingsley.«
    Â»Alles in Ordnung?«
    Das Licht traf ihr Gesicht. Ellen legte die Hand über die Augen. »Ja, ja, alles in Ordnung.«
    Â»Sie sehen aus, als hätten Sie sich ordentlich erschreckt.«
    Â»Ich habe mir das Bein am Löscheimer angeschlagen, weiter nichts. Und ich dachte, ich hätte was gehört …«
    Â»Was denn?«
    Â»So ein Geräusch – Martin hat mir erzählt, dass es hier spuken soll, und ich dachte –« Sie verstummte. Plötzlich kam sie sich albern vor.
    Â»Martin redet eine Menge dummes Zeug«, entgegnete Alec kurz. »Sie sollten nicht auf ihn hören. Wollten Sie nach Hause? Kommen Sie, geben Sie mir die Hand. Zusammen finden wir schon raus.«
    Hand in Hand tasteten sie sich langsam die Treppe hinunter. »Ich habe wahrscheinlich Mr. Gosses Hund gehört«, sagte sie, durch seine Anwesenheit beruhigt. »So was Dummes, deswegen in solche Panik zu geraten.«
    Â»Manchmal geht eben die Phantasie mit einem durch. Gerade nachts.«
    Â»Hauptsache, Sie erzählen es nicht den anderen.«
    Â»Keine Sorge, ich habe für Klatsch nichts übrig, Miss Kingsley. Davon gibt es hier schon genug. Wir arbeiten zu eng aufeinander und kommen zu wenig raus.«
    Seine plötzliche Schroffheit überraschte sie. Es hatte ein Scherz sein sollen. Dann fiel ihr Martin ein, wie er ihr im Pub genüsslich von Alec Hunters Affäre mit Andrée Fournier erzählt hatte, und sie glaubte zu verstehen, warum er Klatsch verabscheute.
    Â»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen nichts unterstellen. Wie gut, dass Sie eine Taschenlampe bei sich haben.«
    Â»Ich war im Keller. Da unten geht oft das Licht aus, deswegen nehme ich immer eine Lampe mit. Es ist sicher wieder mal der Generator. Gosse wird ihn schon richten.«
    Sie folgten dem Strahl der Lampe durchs Haus bis in die Eingangshalle. »Ich bringe Sie zum Fahrradschuppen«, bot Alec an.
    Â»Das ist nicht nötig«, widersprach sie, doch er hatte schon die Haustür aufgestoßen und ging die Vortreppe hinunter.
    Das Schienbein tat ihr noch weh von dem Zusammenstoß mit dem Löscheimer, und auf dem Weg über den Vorplatz zum Schuppen seitlich des Hauses spürte sie, dass die Luft kälter geworden war. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, und im schwankenden Lichtschein der Lampe waren undeutlich die Umrisse der Nebengebäude und die tropfnassen Reihen der Gemüsebeete im Küchengarten zu erkennen. Alec fragte, wie sie sich in Gildersleve Hall eingelebt habe, und sie antwortete, sie fühle sich sehr wohl hier. Während sie miteinander redeten, war sie sich die ganze Zeit über intensiv seiner Nähe bewusst und ihres Verlangens, ihn anzusehen, zu berühren und diesen Moment in die Länge zu ziehen.
    Als sie den Fahrradschuppen erreichten, bemerkte sie aus dem Augenwinkel flackernden Lichtschein in den Fenstern von Gildersleve Hall. Die Lichter brannten wieder und erleuchteten Alec Hunters Gesichtszüge. Die brennende Sehnsucht, die sie plötzlich überkam, war schmerzlich und fremd; sie kannte es nicht, sich nach etwas zu sehnen, was sie nicht haben konnte.
    Marcus Pharoahs Haus war groß und imposant, ein spätviktorianischer oder edwardianischer Bau, von einem Garten und einer Eibenhecke umgeben. Als Ellen am Sonntagmittag dort eintraf, standen schon mehrere Autos in der Einfahrt geparkt.
    Sie fühlte sich erschöpft. Erschöpft von dem Kampf mit dem Gegenwind, der ihr auf der Fahrt ins Gesicht geblasen hatte, erschöpft von den Erinnerungen, die sie immer wieder wie Fieberschübe überfielen: an die Berührung seiner Hand, an die bruchstückhaften Ansichten, die ihr im flackernden Licht des dunklen Abends gewährt worden waren – von seinem Profil, vom Glanz seiner tiefblauen Augen.
    Sie lehnte ihr Fahrrad an die Hauswand. Die Tür des repräsentativen Vorbaus stand offen, auf dem schwarz-weißen Fliesenboden lagen achtlos hingeworfen Gummistiefel und ein Mädchenmantel, lavendelblaue Wolle

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