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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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geglaubt, ich wäre am Ende. Ich war ziemlich schwer verwundet worden, und meine Nerven waren stark angegriffen. Zu der Zeit habe ich in London gelebt, und als es mir langsam wieder besser ging, habe ich angefangen, relativ regelmäßig naturwissenschaftliche Fachtagungen zu besuchen. Ich habe mich immer nach ganz hinten gesetzt, damit mich keiner ansehen musste, und die Hände in die Taschen gesteckt, weil ich nicht wollte, dass die anderen sahen, wie stark sie zitterten. Es gab dort einige sehr nette Leute, die mich angesprochen und sich mit mir unterhalten haben, und einer von ihnen muss wohl mit Pharoah über mich geredet haben. Er hat mich eines Tages angerufen, und wir haben uns getroffen. Zwei Tage später habe ich in Gildersleve Hall angefangen. Pharoah hat die bürokratischen Formalitäten im Schnellverfahren erledigt, um mich zu bekommen. So etwas konnte er. Er wusste, was er wollte, und er bekam es. Ich war ihm unglaublich dankbar. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als das Gefühl, dass man zu nichts mehr nutze ist, dass es keine weitere Verwendung für einen gibt.«
    Ellen dachte an das halbe Jahr nach ihrer Entlassung aus Gildersleve Hall, ein halbes Jahr ohne Arbeit, in dem sie sich ausgeschlossen gefühlt hatte und im trostlosen Grau der Sinnlosigkeit versunken war.
    Â»Das muss sehr schwer gewesen sein«, sagte sie.
    Â»Ja. Für mich war es schwerer zu ertragen als die körperlichen Schmerzen.« Er wies mit einer Kopfbewegung zum Fenster. »Ohne Pharoah hätte ich das alles hier nicht. Ich bezweifle, ob ich überlebt hätte. Wahrscheinlich hätte ich gehofft, dass mich eine Bombe trifft. Tja, also, wie gesagt, Pharoah und Redmond lebten schon in dem Cottage, als ich nach Gildersleve Hall kam. Nach ungefähr zwei Wochen forderte Pharoah mich auf, zu ihnen zu ziehen. Ich war heilfroh – ich hauste in einem schrecklichen Loch, und meine Zimmerwirtin traute mir nicht, weil ich Ausländer war. Wir drei haben uns gut verstanden. Wir hatten gewisse Dinge gemeinsam, wir waren junge Männer, die durch den Krieg entwurzelt worden waren, und wir teilten das Interesse an den Naturwissenschaften. Wir haben viel Schach gespielt und gemeinsame Wanderungen unternommen. Abends ist immer einer von uns zum nächsten Pub geradelt, um einen Krug Bier zu holen, und hat ihn dann auf dem Fahrradlenker nach Hause balanciert. Es war Ehrensache, dass man dabei keinen Tropfen verschüttete, trotz der Verdunkelung und ohne Rücksicht auf das Wetter. Oft haben wir bis in die frühen Morgenstunden getrunken und diskutiert.
    Ich habe diese Gespräche in lebhafter Erinnerung. Etwas Ähnliches habe ich nie wieder erlebt. Sie waren unglaublich anregend und interessant. Wir haben über Gott und die Welt geredet, die Zukunft der Naturwissenschaft, die grandiosen Entwicklungen, die die Nachkriegsjahre bringen würden, die Zukunft, die wir uns erhofften.« Er lächelte. »Ich war glücklich. Sechs Monate vorher war ich noch überzeugt gewesen, dass ich nie wieder glücklich sein würde. Wir glaubten damals, wir könnten die Welt aus den Angeln heben. Wie das eben so ist, wenn man jung ist.«
    Â»Und Sie sind immer gut miteinander ausgekommen?«
    Â»Nicht immer, nein. Es gab auch Streit. Ich erinnere mich, dass ich den beiden einmal erklärte, sie wären Idioten, und dann aus dem Haus gelaufen bin. Ich habe mich in den Wald gesetzt und den Käuzchen zugehört, und nach ein paar Stunden bin ich wieder zurückgegangen.«
    Â»Und weswegen hat es Streit gegeben?«
    Â»Meistens ging es um Politik. Ja, das war fast immer der Anlass unserer Meinungsverschiedenheiten.«
    Â»Dr. Redmond war doch Kommunist?«
    Â»Ich konnte sie einfach nicht wachrütteln. Es hat mich wahnsinnig gemacht, dass zwei intelligente Leute nicht sehen wollten, was ihnen direkt ins Gesicht starrte. Sie haben mir gar nicht zugehört. Es war, als wären sie unfähig zu begreifen, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem es keine Freiheit gibt.«
    Â»Wollen Sie sagen, dass Dr. Pharoah auch Kommunist war?«
    Â»Eine Zeit lang, ja.« Kaminski kniff die Augen zusammen, als blickte er zurück in die Vergangenheit. »In den Dreißigern war der Kommunismus bei einer gewissen Gruppe junger Leute en vogue. Redmond war, soweit ich weiß, bis zu seinem Tod überzeugter Kommunist.«
    Â»Und Dr. Pharoah?«
    Â»Ich glaube, vor dem Krieg war er

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