An einem Tag im Winter
an der Bar. Komischer Kauz, dachte ich, hat so was Unbeholfenes, kann einem nicht in die Augen sehen. Wir sind dann ins Gespräch gekommen, und er hat mich zum Essen eingeladen. Ich war einsam und wusste, wie gesagt, nicht, wohin â¦Â« Er zuckte mit den Schultern. »Aber ich habe ihn gleich gemocht. Er hat nicht viel geredet, doch er hat zugehört. Er war klug, konnte sehr witzig sein, und er war gut zu mir.«
»Hat er Ihnen von seiner Arbeit erzählt?«
»Nicht viel. Er hat immer gesagt, es sei alles streng geheim.« Dann sah er sie an. »Aber es hat da jemanden gegeben, dem er nahegestanden hat. Sie haben zusammen in einem Haus gelebt.«
»Jan Kaminski und Marcus Pharoah.«
»Pharoah, das ist er. Kennen Sie ihn?«
»Er war mein Chef, als ich noch in Gildersleve Hall war.« Ellen zeigte auf das Foto. »Das ist er. Das ist Dr. Pharoah.«
»Hübscher Kerl. Dem legt man doch gern sein Herz zu FüÃen.«
Ihr Blick kehrte zu dem Foto zurück. Wieder fiel ihr das strahlende Lächeln auf, mit dem Dr. Redmond Pharoah ansah.
»Und hat er?«
»Bryan? Ob er ihm sein Herz zu FüÃen gelegt hat? O ja, bedingungslos, der arme Kerl. Er hat mir schon sehr bald, nachdem wir uns kennengelernt hatten, von ihm erzählt. Er wolle offen mit mir sein, sagte er. Aber so deutlich hätte er gar nicht zu sein brauchen, ich habe es schon daran gemerkt, wie er über Pharoah geredet hat.«
Dr. Redmond hatte Marcus Pharoah noch lange über ihr Zerwürfnis hinaus die Treue gehalten. War es möglich, dass er Pharoah nicht nur bewundert, sondern geliebt hatte? Der Erfolg hatte Pharoah verdorben, aber trotz ihrer Differenzen war Dr. Redmond in Gildersleve geblieben. Er hatte dieses Foto aufbewahrt, in seinem Labortagebuch, das er jeden Tag benutzte. Weil seine Liebe zu Pharoah niemals ganz erloschen war?
»Ich weiÃ, dass sie früher Freunde waren«, sagte Ellen vorsichtig.
Tony Ferrersâ Augen blitzten ironisch. »Nur gute Freunde«, sagte er. »Pharoah war ein Frauenheld, hat Bryan mir erzählt.« Sein Ton war spöttisch. »Bryan war immer sehr vorsichtig. Es macht das Leben nicht leichter, wenn man ständig aufpassen muss.« Er beugte sich vor und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das Bild. »Ich habe mir immer so einen wuchtigen Rugbyspieler-Typ vorgestellt, aber so sieht er überhaupt nicht aus. Wie dem auch sei, irgendwie ist er dahintergekommen, dass Bryan homosexuell war. Und er hat ihn fertiggemacht â widerlich, abartig, ob er das nicht behandeln lassen könne und dergleichen mehr.« Mit einer aggressiven kleinen Bewegung, die etwas Rachsüchtiges hatte, drückte Tony Ferrers einen Fingerknöchel in das Abbild von Pharoahs Gesicht. »Der arme Kerl«, murmelte er. »Das hatte er wirklich nicht verdient. Er hat schlieÃlich überhaupt nichts von Pharoah verlangt. Er wollte nur in seiner Nähe sein.«
»Wann war das?«
»Das muss etwa zwei Monate vor Kriegsende gewesen sein. Nach dem Krieg ist Bryan in dem Haus geblieben, und die anderen beiden sind ausgezogen. Er ist einmal im Monat hierhergekommen, und wir haben uns ein paar schöne Stunden gemacht. Ich habe immer drauf geschaut, dass es ihm hier richtig gut ging. Aber man hat gemerkt, wie sehr ihm das Ganze zu schaffen machte. Er hat sich immer mehr verändert, und am Ende war er nicht mehr derselbe. Er war ja immer recht still gewesen, aber mit der Zeit verkroch er sich regelrecht in sich selbst. Irgendwas hatte ihm die ganze Lebensfreude genommen. Ich glaube, zuletzt hat er Pharoah gehasst.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Als er das letzte Mal hier war, hat er Gift und Galle gespuckt.«
»Wann war das, Mr. Ferrers?«
»Im Herbst zweiundfünfzig. Kurz vor seinem Tod. Es muss im November gewesen sein. Es ging um den Wald. Bryan hatte ihn immer als sein Eigentum angesehen, genau wie das Cottage, aber tatsächlich hat beides Pharoah gehört. Als Bryan zu Ohren kam, dass Pharoah daran dachte, das Land mitsamt dem Haus zu verkaufen, hat er ihm für beides ein Angebot gemacht. Zuerst war Pharoah einverstanden, aber dann hat er behauptet, er hätte ein besseres Angebot. Ich habe Bryan nie so auÃer sich gesehen. Er hat selten die Beherrschung verloren, aber an dem Tag hat er getobt. Und da war noch etwas.«
»Ja?«
»Er hatte Angst.«
»Angst? Wovor denn?« Aber sie
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