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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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glaubte es schon zu wissen. »Dass Pharoah ihn bloßstellen würde?«
    Â»Nein, nein, um sich selbst hatte Bryan nie Angst. Er hatte Angst um mich . Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, sagte er, er würde mir die Wohnung überschreiben. Ich wollte das nicht, aber er hat darauf bestanden. Dann wäre ich abgesichert, sagte er.«
    Tony Ferrers schob das Foto über den Tisch in ihre Richtung. Sein Mund bekam einen bitteren Zug.
    Â»Vor einigen Jahren ist ein Freund von mir wegen Unzucht angeklagt worden. Er hat sechs Jahre Gefängnis bekommen. Er hat es nur zwei Wochen ausgehalten, dann hat er sich an einem Bettlaken erhängt.«
    Ellen schwieg, da sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. Tony Ferrers stand auf und öffnete die Tür, um einen Golden Retriever hereinzulassen. Die Krallen des Hundes klapperten auf dem gewachsten Holzfußboden, als er näher kam.
    Â»Hat Dr. Redmond einmal über Dr. Pharoas erste Ehe mit Ihnen gesprochen?«, fragte Ellen.
    Tony Ferrers schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern. Er hat von Klatsch nichts gehalten.«
    Ellen dankte ihm für den Tee und seine Geduld. Als sie aufstand, sagte er: »Nach seinem letzten Besuch hier habe ich nie wieder von Bryan gehört. Er hat nicht gern telefoniert, und ein großer Briefschreiber war er auch nicht. Ich habe ein paar Postkarten, sonst nichts. ›Tony, hast du an die Gasrechnung gedacht? Bryan.‹ So in dem Stil. Nie ›lieber Tony‹, oder ›liebe Grüße‹. Aber er war ein wundervoller Mensch, und ich habe ihn geliebt.«
    Er neigte sich zu dem Hund hinunter und kraulte den hellen Kopf. »Sie heißt Connie«, bemerkte er. »Als Bryan noch lebte, konnte ich mir keinen Hund halten. Er hat Hunde nicht gemocht.« Er richtete sich auf. »Es hat anscheinend aufgehört zu regnen. Dann gehe ich jetzt mal eine Runde mit ihr, wenn wir beide nichts mehr zu besprechen haben, Miss Kingsley.«
    India kam nur langsam vorwärts, weil sie alle zwei Stunden an einem Rasthaus oder einer Gaststätte anhielt, um Abigail zu füttern und zu wickeln und mit ihr zu spielen. Am ersten Tag hatte sie in Montpelier übernachtet, wo sie tankte, Straßenkarten und wärmere Kleidung für das Kind besorgte. Am folgenden Tag erreichte sie das Bourchier College, die kleine Universität, an der Marcus seiner ersten Frau, Rosanne, begegnet war. Doch India dachte vor allem an Hester Devereux’ Geschichte, als sie den Kinderwagen über das kleine, freundliche Collegegelände schob, und an die Freundschaft der beiden Frauen, deren Andenken über Rosannes Tod hinaus bewahrt geblieben war und Hester Devereux mehr als zwanzig Jahre später veranlasst hatte, sich auf die Suche nach Rosannes Kind zu machen.
    Im College brachte India eine Sekretärin, die bezaubert war von Abigail, dazu, alte Akten auszugraben und für sie zu entdecken, was sie wissen wollte: die alte Adresse von Marcus Pharoah in der Zeit, die er am College unterrichtet hatte. Nach einer Fahrt von knapp zehn Kilometern gelangte India in ein Dorf mit einer weißen Holzschindelkirche, einem Gemischtwarenladen und einigen verstreut liegenden Häusern. Im Gemischtwarenladen kaufte sie Milch für Abigail und erkundigte sich nach dem Weg zum früheren Haus der Pharoahs in Aspen Creek.
    Nach einigen weiteren Kilometern in nördlicher Richtung bog sie von der Hauptstraße in eine schmale, von Bäumen gesäumte Landstraße ein, die in die Berge hinaufführte. Sehr bald fand sie das Haus. Sie parkte, stieg aus und ging mit Abigail auf dem Arm den Weg durch den Vorgarten hinauf. Das weiß getünchte Haus stand klein und niedrig inmitten einer Gruppe von Espen. Rundherum zitterten Blätter wie Tausende zartgrüner Münzen im Wind.
    Eine Frau mittleren Alters kam heraus und fragte, ob sie Hilfe brauche. Als Abigail zu weinen begann, bat die Frau, die sich als Mrs. Greenlaw vorgestellt hatte, India ins Haus. Während Mrs. Greenlaw einen Topf Wasser für Abigails Fläschchen aufsetzte, schaute India sich um. Man hätte das Haus leicht dreimal im Fairlight House unterbringen können, doch sie bemerkte, wie weich das Sonnenlicht des späten Nachmittags, von den belaubten Bäumen gefiltert, hinten durch die großen Fenster strömte und anmutige Muster auf den gewachsten Holzfußboden warf. Abigail nickte mit dem Köpfchen und streckte die

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