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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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beiden Ereignisse, ihre Entlassung und die Erkenntnis, dass Alec Hunter noch immer Andrée Fournier liebte, untrennbar miteinander verbunden. Die Verbannung durch Pharoah oder diese Umarmung, die sie von ihrem Laborfenster aus beobachtet hatte – was hatte sie tiefer getroffen? Als sie den Kontakt zu allen, mit denen sie in Gildersleve zu tun gehabt hatte, abbrach, wovor hatte sie da fliehen wollen? Vor der Scham über ihre Entlassung oder vor der Scham über ihre unerwiderten Gefühle für Alec Hunter?
    Die Frau mit der Dauerwelle winkte jemandem vor dem Fenster, klappte ihr Buch zu und ging. Sie hatte die Wahl, sagte sich Ellen. Sie konnte das alles vergessen, es hinter sich lassen und ihr Leben mit Blick in die Zukunft gestalten. Wenn sie hart arbeitete, konnte sie vielleicht sogar ihre stagnierende berufliche Karriere wieder in Schwung bringen. Die Wunden begannen zu heilen, und Professor Malik hatte ihr eine zweite Chance gegeben.
    Aber die Kränkung saß tief, und auch wenn sie wollte, würde sie immer wieder daran gehindert werden, Gildersleve Hall und Marcus Pharoah zu vergessen. Man brauchte nur das Radio einzuschalten, und schon hörte man seine Stimme, wenn er seine Ansichten über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Kunst darlegte. Man brauchte nur die Times aufzuschlagen, um unter der Überschrift irgendeines Artikels seinen Namen zu lesen. Und am Ende der Kolumne eine Fußnote: Dr. Pharoah ist Leiter des Forschungsinstituts Gildersleve Hall. Dr. Pharoah ist ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser oder jener wissenschaftlichen Einrichtung .
    Sie sollten noch einen Satz anfügen, dachte sie: Dr. Pharoah zerstört Karrieren mit einem Federstrich.
    An einem Julimorgen früh um sechs gab Riley das Startzeichen zu einer Großrazzia auf mehreren Anwesen im Norden Londons, von denen er vermutete, dass sie als Lager für Diebesgut dienten. Die Operation war erfolgreich, die Verdächtigen wurden festgenommen, und Rileys Superintendent, ein strenger, wortkarger Mann, brummte beifällig.
    Es war fast acht Uhr abends, als die letzten Befragungen abgeschlossen und die Aussagen zu Protokoll gebracht waren. Auf der Heimfahrt nach Tufnell Park musste Riley das Fenster öffnen, um nicht ständig zu gähnen.
    Im Haus stellte er seine Aktentasche ab, zog sein Jackett aus und lockerte die Krawatte. Und noch während er das tat, fiel ihm die Stille auf – kein Radio, keine Grammofonmusik, kein Töpfe- oder Geschirrklappern aus der Küche.
    Er schaute ins Wohnzimmer. Er bemerkte sie nicht gleich, aber dann sah er sie, zusammengekrümmt in einem Sessel in einer dämmrigen Ecke des Zimmers, die Knie bis zur Brust hochgezogen, den Kopf tief gebeugt. Als er zu ihr trat, hob sie ihn so langsam, als wäre er unerträglich schwer. Ein Blick in ihre Augen zeigte ihm, dass das fiebrige Feuer der letzten Monate erloschen und nichts als schwarze Asche geblieben war.
    Â»Pearl«, sagte er leise und behutsam. »Was ist denn? Was ist los?«
    Sie trug ein altes Baumwollkleid und war ungeschminkt. Das Haar hing ihr in Strähnen ums Gesicht, und in ihren Augen spiegelte sich eine tiefe Verwirrung. »Ich muss aufhören zu denken«, flüsterte sie. »Hilf mir. Mach, dass ich aufhöre zu denken. Bitte, John.«
    Er berührte ihre Hand. Trotz der Wärme des Sommertags war sie kalt und klamm. »Wie meinst du das?«, fragte er vorsichtig. »Woran willst du denn nicht denken?«
    Schwerfällig und mit sichtlicher Anstrengung versuchte sie, eine Antwort zu formulieren. »Ich habe dauernd diese Gedanken im Kopf. Sie hören nicht auf.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ich muss Milch kaufen oder ich darf nicht vergessen, dass Annie ihre Turnschuhe in die Schule mitnehmen muss – immer wieder dasselbe – Turnschuhe, Turnschuhe, Turnschuhe. Es macht mich ganz verrückt.«
    Sie kaute auf einem Fingerknöchel. Er zog ihre Hand weg. »Nicht, Pearl, bitte. Du tust dir weh.«
    Â»Und immer wieder kommen so schlimme Gedanken«, murmelte sie.
    Â»Was für schlimme Gedanken?«
    Â»Ãœber dich. Manchmal sogar über Annie. Du würdest mich hassen, wenn du wüsstest, was ich denke.« Sie schloss die Augen. »Ich weiß genau, wie du mich manchmal ansiehst. Ich bin ja nicht blöd.«
    Darauf wusste er nichts zu sagen, und es blieb eine Zeit lang still, ehe sie von Neuem zu

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