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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Freund erwähnt, der vor Kurzem wegen Unzucht verhaftet worden war. Vielleicht hatte ihm das zugesetzt. Joe war es egal, was andere Leute im Bett trieben, es interessierte ihn nicht. Man verliebe sich eben, sagte er, ob man wollte oder nicht, dagegen könne man nichts tun. Es klang niedergeschlagen. Ellen sah ihren Bruder an und drückte seine Hand. Seine Worte ließen sie an India denken und was sie in ihrer Gedankenlosigkeit anrichtete, und sie spürte Groll in sich aufsteigen.
    Als sie am nächsten Tag erwachte, war der Himmel klar und wolkenlos blau, der scharfe Frost hatte London in eine funkelnde Kristallwelt verwandelt. Auf dem Weg zur Arbeit raubte ihr die Kälte fast den Atem. Wie selten kam es vor, dachte sie, dass sie impulsiv handelte, wie selten ließ sie sich von Gefühlen, von Leidenschaft mitreißen. Wenn sie Alec nie wiedersah, würde sie bedauern, was geschehen war? Nein, denn in diesen Momenten war sie ganz sie selbst gewesen. Sie hatte mit unverfälschter Stimme gesprochen, zugelassen, dass ihr Körper für sie sprach. Wenn sie einst eine alte Frau wäre, allein, ihre Schönheit verwelkt, würde sie an diesen Abend zurückdenken und lächeln.
    Abends um sechs fuhr sie nach Hause und stellte fest, dass die Kälte ein wenig nachgelassen hatte. Im Flur des Hauses hatten sich Pfützen auf den Schachbrettfliesen gebildet. Sie hob die Briefe auf, die feucht unter dem Briefschlitz lagen. Während sie sie durchsah, läutete das Telefon, und sie hob ab.
    Ein Anruf aus Nottingham, sagte die Vermittlung, dann hörte sie Alecs Stimme.
    Sie setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Gott sei Dank, dass er endlich durchgekommen sei, sagte Alec, er versuche es schon seit Tagen. Er war in Schottland gewesen. Seine Mutter hatte noch an dem Abend, an dem sie sich wiedergetroffen hatten, bei ihm angerufen, weil sie krank geworden war. Er war die ganze Nacht und den folgenden Tag durchgefahren, um möglichst schnell bei ihr sein zu können. Auf Seil, seiner kleinen Insel, hatte ihn dann der Schneesturm erwischt, und er hatte festgesessen. Die Telefonleitungen waren zusammengebrochen, und selbst als es seiner Mutter wieder besser ging und er es zurück aufs Festland geschafft hatte, waren viele Straßen unpassierbar gewesen.
    Erleichterung durchflutete sie, so berauschend wie Wein. Sie lachte. Hoffe, dass ich spätestens heute Abend zu Hause bin … kommt auf die Straßen an … turmhohe Schneewehen. In der Leitung knisterte und knackte es, sie hörte ihn kaum noch. Die Haustür flog auf, und sie musste sich an die Wand drücken, um einen der Daves oder Steves vorbeizulassen.»Du hast mir gefehlt!«, schrie er durch das Rauschen, und sie schrie zurück: »Du mir auch!« Sie hörte noch, wie er rief: »Wenn ich wieder da bin …« Dann war Stille, die Verbindung abgebrochen.
    Sie legte den Hörer auf und blieb noch einen Moment sitzen, bevor sie ihre Sachen einsammelte und nach oben ging.
    Nach eingehenden Befragungen von Haus zu Haus war es gelungen, die Identität des Toten aus dem Lagerhaus in der Great Dover Street, des Mannes mit dem lockigen Haar und dem billigen Anzug, festzustellen. George Clancy aus Dublin war in den neun Monaten, die er vor seinem Tod in London verbracht hatte, unter verschiedenen Adressen gemeldet gewesen. Ein Anruf Rileys bei der Garda in Dublin hatte erbracht, dass Clancy einen Cousin und eine längere Vorstrafenliste hatte – nichts Größeres, aber eine Reihe hässlicher kleiner Straftaten: Nötigung, gewaltsame Körperverletzung, räuberische Erpressung. Die Garda sprach mit dem Cousin, der sich, wenn auch nur höchst ungern, bereit erklärte, die Beerdigung zu übernehmen.
    Es war natürlich möglich, dass eine seiner vergangenen Missetaten Clancy eingeholt hatte, dass ein nachtragender Ire es der Mühe wert gefunden hatte, die Fähre zu besteigen, um über die Irische See zu setzen und Clancy eine Spitzhacke in den Schädel zu schlagen, aber Riley glaubte nicht daran. Die Laboruntersuchungen hatten bestätigt, dass Clancy in dem Lagerhaus gestorben war, das nach Rileys fester Überzeugung einer Hehlerbande als Depot diente. Clancy war also entweder das Opfer eines verhängnisvollen Unfalls geworden, hatte bei der Wahl seines Schlafplatzes in der fraglichen Nacht eine unglückliche Hand gehabt, oder er war von seinem Mörder in das

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