An hoechster Stelle
Sie?«
»Weiß der Himmel. Ich hatte ein geregeltes Leben; nach der Royal Academy kam das Engagement am National Theater… Sie kennen das ja alles. Und ich war erst neunzehn.«
»Ja, ich weiß, der künftige Laurence Olivier.«
»Dann fährt mein alter Herr nach Hause und wird von englischen Soldaten umgelegt.«
»Durch einen unglücklichen Zufall.«
»Sicher, das weiß ich alles, aber mit neunzehn sieht man die Dinge anders.«
»Also sind Sie der IRA beigetreten und haben für die glorreiche Sache gekämpft.«
»Ist lange her. Und viele Männer sind dabei auf der Strecke geblieben.«
Eine junge Kellnerin servierte ihnen ihr Essen. »Und wenn Sie zurückschauen«, sagte Hannah, als sie wieder allein waren,
»überkommt Sie die Reue, nicht wahr?«
»Ach, wer weiß? Ich könnte heute ein Star der Royal Shakespeare Company sein und schon fünfzehn Filme gedreht haben.« Er verspeiste ein Schinkensandwich und griff nach einem zweiten. »Ich könnte längst berühmt sein! Hat Marlon Brando nicht etwas in der Art gesagt?«
»Zumindest sind Sie berüchtigt. Begnügen Sie sich damit.«
»Und es gibt keine Frau in meinem Leben. Sie haben mich ja bislang erbarmungslos abgewiesen.«
»Sie armer Mann.«
»Weder Freunde noch Verwandte… Na ja, ich hab jede Menge Cousins in County Down, allerdings würden sie meilenweit rennen, wenn ich bloß am Horizont auftauchte.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Aber jetzt genug mit diesem trübsinnigen Gerede. Ich möchte gern mehr über Barry wissen.«
»Seinen Onkel Frank Barry habe ich besser gekannt. Er hat mir in meiner ersten Zeit eine Menge beigebracht, bis wir uns zerstritten. Jack war immer schon ein übler Gesell. Vietnam war sozusagen sein Versuchsgelände. Die Armee hat ihn wegen der Ermordung gefangener Vietcong rausgeschmissen. Im Verlauf dieser Jahre in Irland ist er immer schlimmer geworden. Dazu war er, wie Sie in seiner Akte gelesen haben, noch oft für verschiedene Organisationen auf der ganzen Welt als gedungener Killer tätig.«
»War das nicht Ihr Fach, Dillon?«
»Touché«, lächelte er. »Was sind Sie doch für eine harte Frau.«
In diesem Moment betrat Blake Johnson die Library Bar. Er trug schwarze Raybans, ein dunkelblaues Hemd, dunkle Hosen und ein graues Tweedjackett. Sein schwarzes, leicht grau meliertes Haar war zerzaust. Ohne sich anmerken zu lassen, dass er die beiden kannte, ging er zur Theke.
»Armer Kerl. Er sieht aus, als habe er eine weite Reise hinter sich«, grinste Dillon.
»Ich habe es schon oft gesagt und wiederhole es noch mal, Dillon – Sie sind gelegentlich ein richtiges Ekel.« Hannah stand auf. »Warten wir oben auf ihn.«
Dillon nickte. »Setzen Sie alles auf die Rechnung von Zimmer zweiundfünfzig!«, rief er dem Barkeeper zu, ehe er ihr folgte.
Unaufhörlich prasselte der Regen gegen das Fenster. Dillon holte eine halbe Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und öffnete sie. »Das übliche Belfaster Wetter, aber was kann man im März schon anderes erwarten?« Er füllte drei Gläser. »Schön, dich zu sehen, Blake.«
»Ich freue mich auch, mein irischer Freund. Und Sie, Chief Inspector, sind schöner als je zuvor.« Blake trank ihnen zu.
»He, he, solche Bemerkungen überlass mal besser mir«, protestierte Dillon. »Kommen wir lieber zur Sache.«
»Ich habe den Ordner über Barry gelesen«, sagte Blake. »Ein übler Bursche. Aber ich möchte gern deine Version hören, Sean.«
»Ich kannte zuerst seinen Onkel Frank Barry, der die Söhne Erins gegründet hat, von Anfang an eine ziemlich radikale Splittergruppe. Er ist vor ein paar Jahren umgelegt worden, aber das ist eine andere Geschichte. Seither hat Jack das Kommando.«
»Und du kennst ihn?«
»Wir hatten im Verlauf der Jahre diverse Begegnungen, die manchmal nicht ohne Schusswechsel abgingen. Ich bin nicht gerade sein bester Freund, sagen wir es mal so.«
»Und es ist sicher, dass er McGuire nie getroffen hat?«
»Das behauptet jedenfalls McGuire«, erwiderte Hannah. »Und warum sollte er lügen? Er will schließlich raus.«
»Gut. Ich habe dieses ganze Zeug auswendig gelernt, das Sie
mir per Computer geschickt haben – über McGuires Vergangenheit, über diese französische Firma, für die er arbeitet, und diesen Tim Pat Ryan, der dich in London fast erledigt hätte, Sean. Interessant, diese Sache – eine Frau als Killer.
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