An hoechster Stelle
Männer vom Secret Service, die Clancy alarmiert hatte, schwärmten durch den Garten und versetzten die bereits durch die lauten Rufe verstörten Gäste in noch größere Unruhe. Lady Helen war Thornton sofort gefolgt, als er über die Balustrade gesprungen war und sich ins Gebüsch geduckt hatte, um die anderen an sich vorbeilaufen zu lassen.
Dass Hedley dicht hinter ihr war, ahnte sie nicht. Nachdem die Stimmen der Männer leiser geworden waren, sah sie Thornton wenige Schritte entfernt aus dem Gebüsch herauskommen und geduckt hinunter zum Strand laufen. Er erreichte das Bootshaus und stürmte mit dröhnenden Schritten über den hölzernen Anleger zum Rennboot. Hastig begann er, dessen Vertäuung zu lösen.
»Mr. Thornton!«
Thornton hielt inne und drehte sich langsam um. In seiner Hand hatte er eine Smith & Wesson. Er wusste sofort, wer diese Frau war, die dort im diffusen Licht am Ufer stand.
»Sie sind das – Sie alte Hexe!«
»Ja, Mr. Thornton, so ist es. Alles rächt sich. Ich glaube, Sie wissen, was mit meinem Sohn geschehen ist. Und jetzt werden Sie dafür zahlen.«
»Der Teufel soll Sie holen!« Thornton hob seine Smith & Wesson.
Helen Lang zog die Pistole aus ihrer Tasche.
Hedley, der sich unbemerkt herangeschlichen hatte, schwang sich in der Dunkelheit über die Reling des Boots und stürzte sich auf Thornton, der sich umdrehte und die Waffe auf ihn richtete. Doch ehe er abdrücken konnte, traf Helen ihn in den Hinterkopf. Thornton sank in die Knie und fiel aufs Gesicht.
»Warten Sie auf dem Parkplatz auf mich«, befahl Hedley. »Ich mache das hier schon. Gehen Sie.«
Sie wandte sich um und eilte davon.
Das Londoner Büro ihrer Firma hatte Lady Helen eine genaue Beschreibung von Chad Luthers Anwesen geschickt, die Hedley sich eingeprägt hatte. Daher wusste er, dass die Bucht von einem Riff begrenzt wurde, das nur bei Flut passierbar war. Jetzt war Ebbe. Er ging ins Steuerhaus und startete den Motor, sprang auf den Pier und löste die Vertäuung. Das Boot raste los und prallte mit einer solchen Wucht auf das Riff am Eingang der Bucht, dass es in die Luft geschleudert wurde und in einem Feuerball explodierte.
Aus dem Garten hörte man die bestürzten Schreie der Gäste und die Rufe der Männer vom Secret Service, die sich miteinander verständigten. Hedley versteckte sich im Gebüsch, als der Präsident mit Blake und Dillon am Strand erschienen.
»O mein Gott!« Cazalet starrte auf die Flammen draußen auf dem Riff.
Rasch machte Hedley sich auf den Rückweg und hörte plötzlich eine Frauenstimme – Lady Helen.
»Lassen Sie mich!«
»Tut mir Leid, aber ich muss in Ihre Handtasche schauen.«
Im sanften Licht einer Gartenlampe erkannte er Clancy Smith, der sie am Arm festhielt.
Hedley sprang auf ihn zu und riss ihn zur Seite. »Lass sie los, verstanden!«
»Secret Service, Leibwächter des Präsidenten«, sagte Clancy. »Ich mache nur meinen Job.«
»Nicht bei dieser Dame, klar?«
Clancy, ein Golfkriegsveteran, wusste, wann es ernst wurde, und riss seine Beretta aus dem Schulterhalfter. Hedley reagierte ganz automatisch. Blitzschnell schlug er die schallgedämpfte Waffe zur Seite, aus der sich ein dumpfer Schuss löste, und verdrehte ihm den Arm. »Du warst bei den Special Forces, was?«
»Leck mich.« Clancy hatte so etwas noch nie erlebt. Dieser Kerl besaß ja Bärenkräfte.
»Mach keinen Blödsinn, Junge. Ich hab nämlich drei Dienstzeiten bei den Marines in Vietnam absolviert und es bis zum Sergeant Major gebracht. Der Golfkrieg war dagegen ein vergnüglicher Ausflug. Jetzt lass deine Knarre los.«
Clancy Smith war sicher kein Feigling, aber diesem Gegner war er nicht gewachsen. Er ließ seine Beretta fallen. Hedley tastete nach den Handschellen, die er bei sich trug, fesselte ihm die Arme auf dem Rücken und stieß ihn zu Boden.
»Nimm es nicht persönlich. Ich habe mehr Leute getötet, als du dir vorstellen kannst. Gehen wir«, nickte er Helen zu.
Sie eilten den Pfad entlang, während Clancy sich mühsam auf die Füße rappelte. Kurz darauf fanden ihn zwei seiner Kollegen.
Hedley half ihr in die Limousine, warf sich hinter das Lenkrad und startete den Motor.
»Alles okay?«
Lady Helen war etwas außer Atem. »Bestens. Zurück zum Flughafen, Hedley. Rufen Sie dort an, dass alles zum sofortigen Abflug nach London bereit ist.«
Er griff nach dem Telefon.
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