An und für dich
kasachischer Musik.
15:45 Uhr. Debashish Nacharya betört auf seinem Shruti Stick, einem zwölfsaitigen Instrument, das von der indischen Zweiundzwanzigton-Oktave inspiriert wurde.
Sie seufzte. Das würde ein langer Nachmittag werden.
Saffy wartete neben der Holzbühne, an der sie mit Joe und Liam verabredet war. Dort sollten gegen drei Uhr ein paar Derwische herumwirbeln. Durch einen Spalt im Vorhang konnte sie sie bereits sehen, sie unterhielten sich, aßen Pringles und ordneten einander die kunstvoll verzierten Röcke. Sie zupfte nervös an ihrem Kleid herum. Heute würde sie Liam das erste Mal wiedersehen seit dem Morgen, als sie in Joes Bett aufgewacht war und er einfach vor ihr gestanden hatte. Es fühlte sich seltsam an, fast wie ein Date. Sie hatte ewig hin und her überlegt, was sie anziehen sollte. Schließlich hatte sie sich ein rotes Kleid im 50er-Jahre-Stil gekauft. Während sie die anderen Besucher betrachtete, von denen die meisten kurze Hosen und T-Shirts trugen, wurde ihr klar, dass sie overdressed war. Aber immerhin hatte sie mehr an als bei ihrer ersten Begegnung mit Liam.
Obwohl sie jetzt jede Woche mehrmals bei Joe übernachtete, achtete sie genau darauf, immer erst dann zu kommen, wenn Liam schon schlief, und wieder wegzufahren, bevor er wach wurde. Es machte ihr nichts aus. Sie fand es schön, durch die verschlafenen Vororte und Alleen nach Hause zu fahren, wenn überall noch die Jalousien heruntergelassen waren. Ranelagh, Clonskeagh, Milltown. Das war eine Seite von Dublin, die sie dringend hinter sich lassen wollte, als sie mit zwanzig in ihre erste eigene Wohnung gezogen war. Jetzt war es sonderbar beruhigend, an ihrer Grundschule vorbeizufahren und an der Wohnung über der Drogerie, in der sie ein Jahr lang mit ihrer Mutter gewohnt hatte, und an der Bushaltestelle, an der ihr mit 15 Jahren das Herz gebrochen worden war, als sie dort gesehen hatte, wie Eoghan Casey mit Orlagh Kavanagh knutschte. Vor ein paar Tagen hatte sich alles geändert. Joe hatte abends einen Babysitter engagiert und war mit ihr nach Brittas Bay gefahren. Sie hatten auf einer Decke in den Sanddünen miteinander geschlafen und wären fast von einer Gruppe Teenager erwischt worden, die einem ausgerissenen Spaniel hinterherjagten.
Danach lagen sie schläfrig im sanften Schein der Abendsonne. Wenn Saffy an ihnen vorbeigelaufen wäre, hätte sie sich selbst nicht erkannt, wie sie dort im Sand lag, Rock und Bluse ganz zerknittert, die Schuhe ausgezogen, den Kopf im Schoß eines großen, dunkelhaarigen Manns, der einen Overall voller Farbspritzer trug.
»Ich würde deine Mutter gern einmal kennenlernen.« Joe hatte sich auf die Seite gedreht und sie angesehen. »Wenn es ihr wieder besser geht. Sie wirkt total nett.«
»Sie ist auch nett«, sagte Saffy.
Das hätte sie vor ein paar Monaten noch nicht gesagt, dachte sie, aber ihre Mutter hatte sich verändert. Sie hatte erst ihre Brust verloren, dann ihre Selbstständigkeit und nun auch noch ihre Schönheit. Das alles hatte sie mit stoischer Ruhe ertragen, war trotzdem freundlich und beschwerte sich nie. Die alte Jill hätte sie mit Fragen bombardiert, aber die neue war ungewöhnlich taktvoll gewesen, was die Tatsache anging, dass Saffy oft nicht zu Hause schlief. Wahrscheinlich dachte Jill, sie wäre wieder mit Greg zusammen, und sie beließ es erst mal dabei. Sie wollte die Dinge nicht unnötig kompliziert machen.
»Ich denke, es ist auch Zeit, dass du Liam richtig kennenlernst«, hatte Joe gesagt. »Ihr habt viel gemeinsam, weißt du.«
»Was denn?«
Er kitzelte sie mit einem Grashalm an der Lippe. »Ihr seid beide Einzelkinder und mit nur einem Elternteil aufgewachsen. Ihr seid beide weitsichtig. Keinem von euch schmeckt, was ich koche. Und ich liebe euch beide. Jeden auf seine Weise natürlich.«
Er hatte das L-Wort gesagt. Hätte sie nicht schon auf dem Boden gelegen, wäre sie hintenübergekippt.
Lizzie weinte, weil Jess ihr keine Tamtams kaufen wollte. Luke war nach den Pommes schlecht geworden. Er hatte Bauchschmerzen und bestand darauf, dass es ihm nur mit einem Eis wieder besser gehen würde. Jess wusste leider genau, wenn sie ihm jetzt ein Eis kaufte, würde er davon nur Kopfschmerzen bekommen. Der Ninja-Surf trieb sie langsam in den Wahnsinn. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, aber ihr war einfach zum Heulen. Sie sah sich nach Conor um. Er stand ein paar Meter entfernt in einen Tagtraum versunken. Er bemerkte sie nicht einmal.
Plötzlich war sie
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