An und für dich
Vater … ich meine, ich habe eigentlich gar keinen.«
Marshs Finger krallten sich schmerzhaft in ihren Arm. »Dann erfindest du jetzt besser ganz schnell einen. Und wenn der nicht mindestens auf der Intensivstation liegt und gerade für einen dreifachen Bypass vorbereitet wird, hast du auch eigentlich gar keinen Job mehr.«
Dermots Nase zuckte und sein Mund verzog sich zu einem besorgten O.
»Dermot, es tut mir wirklich leid, dass ich zu spät bin!« Saffy streckte ihm die Hand hin. »Ich komme gerade …« Marsh sah sie böse an. »… aus dem Krankenhaus. Ich war da die ganze Nacht bei meinem, äh … meinem …« Sollte sie »Vater« oder »Dad« sagen? Was klang überzeugender?
Bevor sie sich entscheiden konnte, trat Dermot der Nervöse auf sie zu und umarmte sie kräftig. Sie vergrub den Kopf in seinem beigefarbenen Regenmantel.
Er hielt sie fest und tätschelte ihr den Rücken, als wäre sie ein großes Baby, das ein Bäuerchen machen muss. »Ich weiß. Ich kenne das. Ich habe das mit meinem Vater vor ein paar Monaten auch durchgemacht. Schon okay. Weinen Sie ruhig.«
Seltsamerweise war ihr wirklich nach Weinen zumute, auch wenn der Herzinfarkt nur eine Geschichte war, die Marsh sich gerade ausgedacht hatte. Bei dem Gedanken, ihren Vater zu verlieren, den sie nie gehabt hatte, wollte Saffy sich am liebsten einfach in die Kuhfladen legen und weinen, bis die Kühe nach Hause kämen.
Saffy hatte die Präsentation so oft geübt, dass alles wie von selbst ging. Dass sie immer noch etwas betrunken war, half wahrscheinlich auch. Sie bedankte sich bei Dermot dem Nervösen für seine Geduld, und dafür, dass er Komodo noch einmal eine Chance gab, bevor er den Auftrag für White Feather neu ausschrieb. Dann ging sie mit ihm ein paar Zahlen durch, was die Budgets der Konkurrenz betraf. Abgesehen von dem Wort Goliaths, das ihr ein bisschen schwer über die Lippen ging, als sie White Feather mit ihren größten Konkurrenten verglich, bekam sie alles unfallfrei raus.
»Sie erwarten wahrscheinlich, dass wir Sie bitten, Ihr Budget zu verdoppeln«, sagte sie. Dermots zuckender Nase konnte sie ansehen, dass sie damit richtiglag. »Das haben wir aber nicht vor. Sie haben nicht genügend finanzielle Mittel, mehr Geld in die Werbung zu stecken als die anderen. Deshalb ist es die Aufgabe Ihrer Werbeagentur, unsere Aufgabe also, stattdessen mehr Ideen hineinzustecken als die anderen. Was wir genau vorhaben?«
Marsh starrte sie die ganze Zeit an und sprach die Worte lautlos mit, wie eine überambitionierte Mutter bei einer Schulaufführung.
»Wir nehmen das Wichtigste an Ihrem Produkt: Schutz mit Flügeln. Daraus kreieren wir eine Markenpersönlichkeit, der die Zielgruppe nicht widerstehen kann. Einen White-Feather-Engel. Einen Schutzengel, der für die Frauen da ist, wann immer sie ihn brauchen.«
Während sie sprach, hielt Vicky Vorschläge für die Umsetzung hoch, wunderschöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen von männlichen Engeln. Dermot der Nervöse runzelte die Stirn und knabberte aufgeregt am Rand seines Pappbechers. Er sah zwar nicht unbedingt wie ein glückliches Kaninchen aus, aber wenigstens wie ein interessiertes.
»Auch heutzutage glauben Frauen noch gern an Engel«, sprach Saffy weiter. »Und jetzt dürfen sie das auch. Denn auch wenn wir sie nicht sehen können – mit White Feather sind Engel überall!«
Während Dermot der Nervöse durch die Präsentation abgelenkt war, hatte man nebenan auf dem Feld den Heißluftballon startklar gemacht. Jetzt sollte eigentlich ein männliches Model, das als Engel verkleidet war, auftauchen und Dermot dort hinbringen. Aber der Engel kam nicht.
Er hockte unter einer tropfenden Hecke und rauchte mit zitternden Händen eine Marlboro Light. Eine blond gelockte Perücke verdeckte fast sein hübsches, etwas rundliches Gesicht. Seine weißen Flügel waren mit Mülltüten abgedeckt. Ein Lendenschurz verbarg nur knapp seine schlecht mit Selbstbräuner bearbeiteten Rettungsringe.
»Ich steig da nicht ein.« Er sah ängstlich zu dem Ballon hinüber, der sich beeindruckend groß hinter ein paar Bäumen erhob. »Ihr könnt mich nicht zwingen.«
Saffy musste ihn aber zwingen. Sie hätte heute Morgen beinahe schon einmal alles versaut. Das durfte ihr kein zweites Mal passieren. Die Agentur brauchte ein Foto für die Marketing Weekly mit Dermot dem Nervösen, Marsh und dem Engel im Heißluftballon. So ein Publicityfoto würde White Feather mit Komodo und der Engelkampagne in Zusammenhang
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