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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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sie speziell zu diesem Anlass aufgesetzt und
wollte damit doch nur demonstrieren, wie erwachsen und erfolgreich er in der
Zwischenzeit geworden war. León sollte stolz auf ihn sein, anstatt ihn
zurechtzuweisen. Aber er nahm sie ab.
    »Ach, es ist herrlich, wieder festen Boden unter
den Füßen zu haben. Und wieder diese brutale Hitze zu spüren. Als wir in
Southampton ablegten, waren es dort neunzehn Grad unter null. Kannst du dir das
vorstellen, Felix? Es war so krachend kalt, dass Eisschollen durch den Hafen
trieben. So unerbittlich kalt, dass einem die Spucke im Mund gefror, wenn man
ihn zu lange aufließ.«
    Nein, das konnte sich Felix nicht vorstellen. In
dem härtesten Winter, den er je erlebt hatte, waren die Temperaturen auf knapp
zehn Grad gesunken – zehn Grad über null, versteht sich. Er hatte erbärmlich
gefroren und sich einen schlimmen Husten zugezogen, den er erst Wochen später
auskuriert hatte. Eine noch größere Kälte konnte und wollte er sich gar nicht
vorstellen, und ihm war unbegreiflich, warum die reichen Weißen andauernd in Länder
reisten, die ein so unwirtliches Klima hatten. In England, Frankreich, den
Vereinigten Staaten, selbst in Portugal kamen, so hieß es, im Winter keine
Tropfen vom Himmel, wenn es regnete, sondern kleine Eisklümpchen. Schnee. Er
hatte die Fotografie einer verschneiten Landschaft gesehen, aber auf ihn hatte
sie ihren Reiz verfehlt. Felix erinnerte sie nur daran, wie taub seine Füße
gewesen waren, nachdem er in eine Pfütze getreten war und dann den ganzen Tag
in den nassen Schuhen am Schreibtisch gesessen hatte, unter sich den kalten,
gefliesten Boden des Souterrain-Kontors. Nein, Schnee fand er nicht romantisch
oder schön, er fand ihn höchst beängstigend. In der Hölle, das würde ihm kein
Mensch ausreden können, schmorte niemand in einer teuflischen Glut, in der Hölle
mussten die Sünder frieren.
    León zog ein Tuch aus der Hosentasche und
wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Während der zweiten Hälfte der Überfahrt,
als sie die Kanarischen Inseln passiert und dann den Atlantik überquert hatten,
hatte die Sonne zwar schon heiß vom Himmel gebrannt, doch dank des Fahrtwindes
war die Hitze nicht so zu spüren gewesen. Hier, im Hafen von Rio de Janeiro,
regte sich kein Lüftchen. Es waren mindestens achtunddreißig Grad, und nach
anderthalb Jahren in London und Paris war er solche mörderischen Temperaturen
nicht mehr gewohnt.
    Ebenso wenig war er auf den Anblick gefasst
gewesen, den die Stadt bot. Bei der Einfahrt in die Guanabara-Bucht hatte ihn
die atemberaubende Schönheit der natürlichen Kulisse schier überwältigt. Jetzt
staunte er über das Spektakel am Hafen. War das früher auch schon so ein wüstes
Durcheinander gewesen, eine so infernalische, himmlische Explosion der Farben,
Geräusche und Gerüche. War der Himmel früher auch schon von einem so tiefen
Blau gewesen, hatten die Palmen an der Promenade vor seiner Abreise auch schon
so viele Kokosnüsse getragen, und waren die Menschen damals auch schon so bunt
gekleidet gewesen, dass sie aussahen wie Papageien? Wie herrlich das alles war!
Und wie sehr er es vermisst hatte! Erst jetzt spürte León, dass er durch und
durch Südamerikaner war, dass er für die grauen englischen Winter nicht
geschaffen war, ganz gleich, wie schön auch die Abende bei Brandy und Pfeife am
Kamin sein mochten. Gegen dies hier kam das alles nicht an. Endlich daheim!
    Felix und León schoben sich durch die Menge,
vorbei an einem Stand, an dem Mangos, Papayas, Ananas und Bananen verkauft
wurden.
    »Felix, hast du Geld bei dir? Ich habe nicht
einen Vintém dabei, ich muss erst wechseln.«
    Felix kramte in seiner Hosentasche und förderte
eine Einhundert-Reis-Münze zu Tage, die er León gab.
    León sah sich das Geldstück genau an. »An unsere
Währung muss ich mich auch erst wieder gewöhnen. Mit unserer schönen Sprache
habe ich mich Gott sei Dank auf dem Schiff schon wieder vertraut machen können.«
Er gab die Münze dem Obstverkäufer und nahm sich eine Mango aus dem Korb, die
er genießerisch auf ihre Reife hin prüfte.
    Als er weitergehen wollte, rief ihm der Verkäufer
nach: »Sie können noch acht weitere Früchte für Ihr Geld bekommen.«
    »Na gut, packen Sie mir von jeder Sorte ein paar
ein.«
    Felix nahm die Früchte entgegen und legte sie
auf eine der Reisetaschen, die er León abgenommen hatte. Er wunderte sich über
seinen Herrn. War so etwas möglich? Konnte man die eigene Sprache

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