Ana Veloso
Grundkapital aufbauen, mit dem
es sich arbeiten ließ. Kein Mensch würde merken, ob sie noch im Besitz ihres
Diadems, ihrer Smaragdbrosche oder ihrer Perlenkette war die Juwelen waren viel
zu kostbar und zu protzig, als dass sie sie bei einem normalen Fest hätte
tragen können. Und prunkvolle Feiern standen in den kommenden Monaten keine an.
Vitória überschlug im Kopf, wie viel Geld sie für den Schmuck bekommen würde.
Einige Hunderttausend Reis ganz sicher. Wenn sie damit Aktien der British Meat
Company kaufte und wenn diese dann rapide anstiegen, wie Vitória es erwartete,
könnte sie den Betrag in kurzer Zeit verdoppeln. Die BMC hatte im ganzen Süden
des Landes, in der Pampa, wo riesige Rinderherden gehalten wurden, Fabriken
errichtet, die Fleischkonserven herstellten, und anscheinend war der Appetit
der Europäer auf Corned Beef unersättlich. Ein Geschäft mit Zukunft, glaubte
Vitória, denn in der Alten Welt verschluckten die modernen Industrien immer
mehr landwirtschaftliche Nutzfläche.
Sie stand auf, wusch sich das Gesicht, obwohl
sie nicht eine einzige Träne vergossen hatte, und setzte sich an ihren Sekretär.
Sie nahm ein Blatt Papier und einen Bleistift zur Hand und notierte eine Zahl.
Dreihunderttausend Reis. Wenn die Aktie im nächsten Jahr um zwanzig Prozent
stieg, dann hätte sie sechshunderttausend Reis verdient. Zu wenig, um dann
schon ihren Schmuck auszulösen – und zu wenig, um damit ernsthaft zu arbeiten.
Bei einem Anstieg von vierzig Prozent wären es einhundertzwanzigtausend Reis.
Schon besser. Aber ob vierzig Prozent realistisch waren? Und wenn sie ihren
Schmuck nun nicht sofort zurückholte? Mit einhundertzwanzigtausend Reis könnte
sie weiter investieren, das Geld vermehren, und wenn sie dabei klug vorging, würde
sie, mit Zins und Zinseszins, bald sehr reich sein. Vitória verbrachte
mindestens eine weitere Stunde an ihrem Schreibtisch, rechnete mit
verschiedenen Grundsummen, spielte verschiedene Prozentsätze durch, schrieb
Zahlenkolonne um Zahlenkolonne und erfreute sich an den Ergebnissen. Das war
fast so schön wie Geld zählen!
Aber noch ein weiteres Problem war zu lösen: Wie
sollte sie ihre Juwelen versetzen, ohne dass ihre Eltern Wind davon bekamen? In
Vassouras und Valenca war sie zu bekannt, und nach Rio käme sie so bald nicht.
Vielleicht sollte sie einen Mittelsmann damit beauftragen? Nur wen? Einen
Schwarzen konnte man mit dieser heiklen Aufgabe nicht betrauen, jeder
Pfandleiher würde glauben, dass der den Schmuck gestohlen hätte. Und von Vitórias
Freunden war keiner vertrauenswürdig genug. Die jungen Männer, mit denen sie
Umgang pflegte, würden das ganze Unterfangen als Unsinn abtun, als Hirngespinst
einer hysterischen, weil unverheirateten Sinhazinha. Vitória konnte sich genau
vorstellen, wie sie Edmundo um den Gefallen bat und der nichts Besseres zu tun
wusste, als direkt zu ihrem Vater zu gehen und sie zu verpetzen. Sie musste
Edmundo allerdings nicht den Zweck ihrer Geldbeschaffung verraten. Wenn sie ihm
nun unter Tränen erzählte, sie sei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten? Aber
nein, dann würde er ja glauben, sie sei schwanger, und das würde alles noch
viel peinlicher machen. Eufrásia konnte sie genauso wenig darum bitten. Man
kannte sie in den größeren Orten des Vale und würde sich wahrscheinlich diskret
mit ihrem Mann in Verbindung setzen, um diesen über das ungebührliche Benehmen
seiner jungen Frau zu informieren. Andererseits: Was machte das schon? Eufrásia
war eine verheiratete Frau, die ihren Arnaldo gut im Griff hatte. Ihr würde
schon eine plausible Erklärung einfallen. Abgebrüht genug war sie jedenfalls,
und wenn sie schon nicht den Sinn der Geldbeschaffung würde nachvollziehen können,
so würde sie doch wenigstens nicht versuchen, Vitória den Plan auszureden. Ja,
so würde sie es anstellen.
»Du bist von allen guten Geistern verlassen!«,
rief Eufrásia. »Deine verrückten Ideen haben mir bisher nichts als
Schwierigkeiten gebracht. Und dir auch. Was soll dieser Unsinn?« Sie war so
abrupt von ihrem Stuhl aufgesprungen, dass dieser umzukippen drohte.
»Leise, Eufrásia, dich hört man ja im ganzen
Haus.«
Die beiden jungen Frauen waren im Salon von
Boavista. Die Türen hatte Vitória geschlossen, sodass die heiße Luft in dem
Raum stand und sie zu ersticken drohte. Aber lieber verzichtete sie auf
Durchzug, als dass sie es riskierte, von einem der Sklaven belauscht zu werden.
»Versteh doch«, sprach sie mit gedämpfter
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