Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
Vom Netzwerk:
allmählich
versiegte. Dona Alma, die mehr tot als lebendig in dem säuerlichen Geruch ihres
ungelüfteten Zimmer vor sich hin jammerte, und Eduardo, der verhärmt und
verbittert an seinem staubigen Sekretär saß, vor sich eine alte Zeitung mit den
Aktienkursen, die seinem Schicksal eine andere Richtung hätten geben können.
    Schluss damit! Vitória zerriss den Brief, trug
ihren Schmuck hinauf in ihr Zimmer und versuchte, die düsteren Visionen abzuschütteln.
So weit durfte, so weit würde es nicht kommen! Sie musste nachdenken. Ganz
sicher gab es eine Lösung. Und sie, Vitória da Silva, würde sie finden.

XV
    Der Tag versprach nichts Gutes.
    Er hatte damit begonnen, dass Vitória mit
pochenden Kopfschmerzen aufgewacht war und beim Blick aus dem Fenster
feststellen musste, dass ihr für heute geplanter Ausritt ins Wasser fallen würde.
Es regnete in Strömen. Wenig später hatte sie durch das geschlossene Fenster Zélias
durchdringendes Gezeter auf dem Hof gehört und sich die Ohren zugehalten. Sie
konnte diese Alte nicht mehr ertragen, weder ihren Anblick noch ihre
schreckliche Stimme.
    Dann war auch noch, einen Steinwurf von Boavista
entfernt, die Kutsche im Schlamm stecken geblieben, mit der José einen Besucher
vom Bahnhof abholen sollte. Ein paar Sklaven mussten ihre übliche Arbeit
unterbrechen, um das Gefährt wieder gangbar zu machen. Der Besucher, ein Geschäftsfreund
ihres Vaters, würde mit großer Verspätung abgeholt werden. Vitória fand, es war
an der Zeit, dem alten Kutscher einen jungen Mann zur Seite zu stellen, den er
anlernte und der in solchen Situationen anpacken konnte. Erst jetzt wurde ihr
bewusst, wie alt und schwach der treue Sklave geworden war. Vielleicht wäre der
junge Rui ein geeigneter Gehilfe.
    Die anderen Sklaven riefen ihn »Bolo«, Kuchen,
weil er etwas mit der Hilfsköchin hatte, die ihm immerzu Leckereien zusteckte.
Vielleicht hatten sie ihm den Spitznamen auch verpasst, weil er rund und
schwarz war wie eine Schokoladentorte. Gleichwie – er war jung, stark und immer
freundlich, ideal also für diesen Posten. Vitória nahm sich vor, möglichst bald
mit José und Bolo zu reden. Vitória wäre am liebsten mit einem Buch und einer
Schale Kekse im Bett geblieben. Aber ausgerechnet heute hatten sich neben dem
Geschäftsmann aus Rio auch die Pereiras angekündigt, die neu in der Gegend waren
und allen wichtigen Leuten Höflichkeitsbesuche abstatteten, um sich bekannt zu
machen. Vielleicht bliebe die Kutsche der Pereiras ja auch stecken? Vitória wünschte
es ihnen aus ganzer Seele. Eufrásia hatte ihr berichtet, dass die Leute
entsetzliche Langweiler waren.
    Außerdem wollte der Dekorateur vorbeikommen und
ihnen eine Auswahl an Tapeten- und Stoffmustern mitbringen. Vitória hatte
beschlossen, dass die casa Brande dringend einer Verjüngungskur
bedurfte. Frischere Farben, lebhafte Muster, freundliche Blumenbordüren, helle
Möbelbezüge – damit würde man in dem Haus wieder atmen können. Aber wenn sie
jetzt nach draußen sah, war ihr gar nicht nach einer neuen Dekoration zumute.
Die bordeauxroten und flaschengrünen Samtbezüge und -vorhänge, die sie so
verabscheute, passten sowohl zu dem Wetter als auch zu ihrer trüben Stimmung.
Allein der Gedanke an ein Sofa mit Chintzbezug, auf dem pastellige Blütenmotive
prangten, verstärkte ihre Kopfschmerzen noch. Sie würde den Dekorateur einfach
wieder fortschicken.
    Vitória hatte sich, ihrer Gemütsverfassung
entsprechend, ein anthrazitfarbenes Kleid angezogen, in dem sie aussah wie eine
graue Maus. Es genügte eben noch den Mindestanforderungen an eine Garderobe, in
der eine Sinhazinha vor Gästen erscheinen konnte. Sie hatte ihr Haar zu einem
schlichten Knoten aufgesteckt, der bereits jetzt, dank der hohen
Luftfeuchtigkeit, aussah wie ein verfilztes Wollknäuel. Auch die Härchen an den
Schläfen kräuselten sich, obwohl Vitória sie straff mit Kämmen festgesteckt
hatte. Sie trug weder Schmuck noch sonstige Accessoires. Dafür hatte sie die
Brille aufgesetzt – sie hatte die Beobachtung gemacht, dass eine Ursache ihrer
häufigen Kopfschmerzen in ihrer Kurzsichtigkeit lag. Ha, die Pereiras und alle
anderen Störenfriede würden einen schönen Eindruck von der berühmten Vitória da
Silva haben: Sie würden sie für eine altjüngferliche Gouvernante halten. Aber
es war ihr gleich. Lieber wurde sie dieses dumpfe Pochen los, als dass sie für
irgendwelche Fremden hübsch aussah.
    Von draußen hörte sie aufgeregte Stimmen.
Himmel,

Weitere Kostenlose Bücher