Ana Veloso
an. Vitória machte sich in Windeseile fertig und stahl sich
aus ihrem Zimmer. Sie schlich über den Flur und fühlte sich dabei wie eine
Einbrecherin. Dann tappste sie leise die Treppe hinunter, immer in Sorge, sie könne
in der Dunkelheit stolpern und alle aufwecken. Doch ihre Befürchtungen waren
anscheinend unbegründet. Als sie unten in der Halle angelangt war, sah sie
einen Lichtstreifen unter der Tür zum Esszimmer und hörte Stimmengemurmel. Zögerlich
klopfte sie an die Tür.
»Ja ?«, fragte eine weibliche Stimme.
»Guten Morgen.« Vitória trat ein und sah sich
zwei Hausmädchen gegenüber, die gerade den Tisch deckten.
»Sinhá Vitória, Jesses, Sie sind aber früh dran!«
»Ja, Zuca, ich weiß. Ich will auch gar nicht frühstücken.
Aber es wäre wunderbar, wenn du mir einen Kaffee bringen könntest.«
»Selbstverständlich,
sofort.« Das Mädchen rannte mit fliegenden Röcken aus dem Zimmer,
wahrscheinlich weniger darauf bedacht, der Besucherin schnellstmöglich ihren
Wunsch zu erfüllen, als vielmehr den anderen Haussklaven von dem sonderbaren
Benehmen der weißen Senhorita zu berichten. Abgesehen von Senhor Otávio stand
kein Mitglied der Familie Peixoto vor neun Uhr auf.
Das andere Mädchen räusperte sich. »Haben Sie
sonst noch einen Wunsch, Sinhá?«
»Nein, vielen Dank. Wie heißt du?«
»Ich bin Verinha.«
»Aha.« Eufrásia hatte ihr von Verinha
geschrieben und sie als dreiste, unfähige und geschwätzige Sklavin geschildert,
die ihr das Leben auf São Luíz schwer machte. »Ich bin Vitória da Silva.«
»Ich
weiß. Sind Sie wirklich eine Freundin von Sinhá Eufrásia? Sie sind ganz anders
als sie.«
»Ja. Man muss sich nicht ähneln, um befreundet
zu sein.« Verinha zuckte angesichts einer so naiven Aussage befremdet mit den
Schultern.
Vitória hätte gerne erfahren, auf welche
Unterschiede genau das Mädchen sich berief, fragte aber nicht nach. Ihr stand
jetzt nicht der Sinn nach einem Gespräch, und schon gar nicht nach einem Gespräch
mit einer Haussklavin über Eufrásias Fehler. Denn über die, da war sich Vitória
sicher, wollte Verinha am liebsten reden. »Tu einfach so, als sei ich gar nicht
hier, ja? Lass dich in deiner Arbeit nicht von meiner Gegenwart stören. Ich
will nur schnell einen Kaffee trinken, dann bin ich schon wieder verschwunden.«
»Wo wollen Sie denn hin, so früh am Morgen?«
»Ich wüsste nicht, was dich das anginge. Aber, na
ja, ein bisschen ums Haus herumlaufen, mir den Kräutergarten genauer anschauen
...«
»Möchten Sie die Welpen sehen?«
»Ihr habt Welpen hier? Eufrásia hat mir gar
nichts davon erzählt. Ja, die würde ich liebend gerne sehen.«
»Aber Sie verraten Sinhá Dona Iolanda und Sinhá
Eufrásia nicht, dass ich Sie hingebracht habe, oder? Ich beziehe eine Tracht Prügel,
wenn sie davon erfahren.«
»Wieso? Was ist so schlimm daran, wenn du mir
junge Hunde zeigst?«
»Nichts. Aber sie wollen nicht, dass ich so oft
in den Stall gehe. Weil ich dann angeblich nach Pferdemist rieche.«
»Nun, wenn die beiden Damen des Hauses das nicht
möchten, dann solltest du es wirklich nicht tun.« Vitória war enttäuscht. Sie
liebte Welpen. Auf Boavista hatten sie seit Jahren keine mehr gehabt. Ihre alte
Hündin war vor kurzem gestorben, und jetzt hatten sie nur noch den Rüden, der
an gebrochenem Herzen litt und zu nichts mehr zu gebrauchen war. Sie hätten
schon längst neue Hunde angeschafft, wäre nicht Dona Alma der Ansicht gewesen,
dass es sich auf Boavista, wo weder Wachhunde noch Jagdhunde benötigt wurden,
ohne Gekläffe und Hundehaare auf den Polstermöbeln viel beschaulicher lebte.
»Andererseits«, fuhr Vitória verschmitzt lächelnd
fort, »muss ja niemand etwas davon erfahren.«
Als sie den Kaffee getrunken hatte, wandte sie
sich an Zuca: »Ich habe Verinha gebeten, mich zu den Stallungen zu führen. Sie
ist gleich wieder zurück.«
Zuca sah ihnen entgeistert nach, als sie das
Esszimmer verließen. Im Stall empfing sie der intensive Geruch von Heu und
Pferden. Unter anderen Umständen hätte sich Vitória viel Zeit gelassen, um
jedes einzelne Pferd gebührend zu bewundern. Jetzt aber sah sie weder nach
rechts noch nach links, sondern lief atemlos dem Mädchen hinterher, bis sie am
Ende des Gangs angekommen waren. In der letzten Box lag eine bildschöne
Dalmatinerhündin auf der Seite und säugte fünf Junge. Das Tier hob in einem
Ausdruck, der Lethargie oder aber Erschöpfung bedeuten mochte, den Kopf und
richtete die Ohren auf.
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