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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Wie viel lieber hätte sie von ihm gehört,
dass er sie liebte, sie anbetete, sich nach ihr verzehrte wie nach keiner anderen
Frau jemals zuvor. Erst tags darauf war ihr aufgegangen, dass nur ihre
Eitelkeit verletzt worden war. Und wenn sie schon über eine Eheschließung
redeten wie über ein Geschäft, von dem sich jede Partei Vorteile versprach,
dann musste sie sich auch verhalten, wie es sich für eine Geschäftsfrau gehörte:
nüchtern, sachlich, persönliche Eitelkeiten außer Acht lassend.
    »Also, ich weiß nicht, Vita«, holte Eufrásia sie
wieder in die Gegenwart zurück. »Ich fürchte, er wird sich mit dir sehr wohl
blamieren. Du leidest eindeutig an geistiger Umnachtung.«
    Denselben Eindruck musste Vitória am Abend auch
auf den Rest der Familie Peixoto machen. Geistesabwesend saß sie am Tisch und
stocherte in ihrem Essen herum. Die Fragen von Senhor Otávio, die ausschließlich
der Kaffeeernte galten, beantwortete sie einsilbig, die Beobachtungen Dona
Iolandas über das Wetter kommentierte sie lustlos, und auf die Äußerungen
Arnaldos reagierte sie ungehalten. Eufrásias Mann mangelte es so offensichtlich
an Esprit, Intelligenz und Charme, dass es Vitória körperliche Schmerzen
verursachte. Wie hielt Eufrásia das aus? Ihre Freundin mochte ja hochnäsig sein
und ein sehr eingeschränktes Weltbild haben, aber dumm war sie nicht.
    Nachdem Kaffee und Cognac serviert worden waren,
Eufrásia bekam ein Glas warme Milch, hatte Vitória es plötzlich eilig, sich zu
verabschieden. Keine Sekunde länger, als es die Höflichkeit gebot, würde sie
mit diesen Leuten verbringen können. Sie entschuldigte sich mit den Strapazen
der Reise und zog sich auf ihr Zimmer zurück.
    Sie brauchte Luft! Vitória riss die Gardinen auf
und öffnete das Fenster sowie die Fensterläden. Die Nachtluft, die hereinströmte,
war warm und samtig. Sie duftete nach frisch gemähter Wiese, nach Eukalyptus,
nach feuchter Erde und, ganz schwach, nach Holzfeuer. Hoch am Himmel stand der
Mond, eine schmale Sichel, die in der diesigen Luft aussah, als läge ein dünner
Schleier davor. Die Sterne waren aufgrund des leichten Nebels nicht zu sehen,
dennoch verharrte Vitória minutenlang am Fenster, betrachtete den Himmel und
sog tief die würzige Luft ein. Wie unbedeutend, wie klein sie doch alle waren
angesichts der unermesslichen Weite des Universums. Die Sorgen der Peixotos,
ihre eigenen Probleme – sie wirkten plötzlich alle nichtig, trivial. Die Erde würde
sich weiterdrehen, ob Otávio Peixoto Mais anpflanzte oder nicht, ob Dona
Iolanda die renitente Sklavin auspeitschte oder einsperrte, ob Arnaldo das
Rennpferd kaufte oder nicht, ob Eufrásia einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt
brachte, ob sie selber León heiratete oder nicht. So einfach war das. Und so
beruhigend.
    Vitória gähnte. Sie zog die Gardinen zu, um sich
unbeobachtet ausziehen zu können. Dann löschte sie das Licht, öffnete die Vorhänge
wieder und legte sich ins Bett, das parallel zur Fensterseite des Zimmers stand
und ihr erlaubte, im Liegen weiter den Himmel anzustarren. Lange genoss sie den
Anblick nicht: Nach wenigen Sekunden war Vitória eingeschlafen.
    Sie erwachte von den Geräuschen, die den Beginn
eines neuen Tages ankündigten. Das Scheppern von Milchkannen und Hufgetrappel
im Hof, die Stimmen von Sklaven, das Knacken der Holzdielen im Flur, über die
jemand ging, der keinen Lärm verursachen wollte. Vitória brauchte einen
Augenblick, um sich zu orientieren und sich daran zu erinnern, dass sie nicht
auf Boavista war. Sie richtete sich auf und sah aus dem Fenster. Die Sonne war
noch nicht aufgegangen, doch der violettfarbene Streifen am Horizont ließ sie
die Zeit auf fünf Uhr schätzen. Sie liebte die frühen Morgenstunden – wenn sie
zu Hause war. Doch was sollte sie hier auf São Luíz mit sich anfangen, bevor
das Frühstück serviert wurde, und das wäre nicht vor sieben Uhr der Fall? Hier
konnte sie nicht einfach im Morgenmantel in die Küche stolpern, um sich von der
Köchin einen Kaffee aufbrühen zu lassen, oder es sich im Arbeitszimmer bequem
machen, um in der friedlichen Stimmung der Morgendämmerung ein paar Papiere
durchzusehen. Andererseits: Was sprach schon dagegen, dass sie aufstand, sich
anzog und sich auf die Suche nach einem Kaffee machte? Sie war schließlich
keine Gefangene. In der Küche war bestimmt schon jemand zugange, und wenn hier
alles so funktionierte wie auf Boavista, dann wäre das Herdfeuer ohnehin die
ganze Nacht über

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