Ana Veloso
Nicht auf Dauer. Und er, Aaron, würde geduldig
abwarten, bis seine Zeit käme.
Am Bahnhof von Vassouras begegneten die drei
mehreren Bekannten aus Rio, die im selben Zug angereist und ebenfalls zu der
Hochzeitsfeier eingeladen worden waren.
»Sieh nur, Pedro«, Joana deutete mit dem Kinn in
Richtung eines betagten Herrn, »sogar der alte Pacheco ist gekommen.«
»Ja«, antwortete Pedro in düsterem Tonfall, »diese
unmögliche Eheschließung will sich niemand entgehen lassen.«
»Ich habe gehört, dass auch die Presse dabei
sein wird«, warf Aaron ein und erntete damit ein empörtes Schnauben von Pedro. »Natürlich,
León wird ja sicher ein paar seiner Kollegen eingeladen haben – wo er schon
nicht mit einer Familie dienen kann.« Dies war ein weiterer Aspekt, den Pedro
an seinem Schwager in spe bemängelte. Welcher anständige Mensch konnte nicht
einmal mit einer respektablen Tante aufwarten, oder wenigstens mit entfernten
Vettern? Man musste ja glauben, dass León den allerniedrigsten Verhältnissen
entstammte.
»Sei nicht ungerecht, Pedro. Wenn Aaron heiraten
würde, hätte er auch keine Verwandten, die kämen. Nicht mit jedem meint das
Schicksal es so gut wie mit dir.«
»Das ist etwas ganz anderes. Aaron hat seine
Eltern verloren, und der Rest seiner Familie lebt im weit entfernten Europa,
ohne die Chance, ihm auch nur einen Besuch abstatten zu können. Aber León – er
ist Brasilianer, oder zumindest ein halber, wenn man seinen dürftigen Ausführungen
zu seinem familiären Hintergrund Glauben schenken darf. Er muss doch
irgendjemanden haben!«
»Natürlich hat er das, das hat er uns doch
selber erzählt. Er hat nur eben keinen guten Kontakt zu seinen Verwandten. Was
ist daran so sonderbar?«
»Ach, lass nur. Es ist eben einfach sonderbar.
Ah, sieh nur, da wartet schon unsere Kutsche!«
Die drei hielten auf das Gefährt zu, auf dem ein
Bursche saß, den Pedro nicht kannte, der aber umgekehrt ihn erkannte. Der Junge
sprang ab, stellte sich als Josés Nachfolger Bolo vor und begrüßte die kleine
Gruppe.
»Was ist mit dem alten José passiert?«
»Nichts weiter. Er ist halt alt und gebrechlich,
sodass er nur noch kürzere Strecken fährt. Morgen kommt aber auch er nach
Vassouras, die Hochzeit unserer Sinhazinha will er ja auf keinen Fall
verpassen.«
»So, so. Und die anderen Sklaven, kommen die
auch?«
»Natürlich, Sinhá Vitória hat alle Haussklaven
und auch viele der anderen eingeladen. Hinter dem Hotel wird extra für uns ein
Zelt aufgebaut, in dem es Feijoada und Cachaca für alle gibt! Keine andere
Sinhazinha im Vale ist so gut zu ihren Leuten!«
Pedro ließ den Jungen in dem Glauben. Er hatte
eher den Verdacht, dass die Idee von León stammte, der mit dieser Geste seinen »Verrat«
an den Sklaven wieder gutmachen wollte. Wie er jemals Dona Almas und Vitas
Einverständnis zu dieser unerhörten Maßnahme ergattert haben konnte, entzog
sich allerdings Pedros Vorstellungskraft.
Bolo fuhr sie den kurzen Weg zum Hotel Imperial,
das bereits für das morgige Fest geschmückt wurde. Vor den Fenstern wurden
gerade Blumenkästen mit weißen Orchideen angebracht, und zwei schwarze Mädchen
drapierten Girlanden mit weißen und roséfarbenen Rosen aus Krepppapier um die Türen
herum. Ein Männlein mit weibischem Gehabe lief wichtig hin und her und gab mit
einer vollen Stimme, die so gar nicht mit seinem Aussehen harmonierte,
Anweisungen, wie die Dekoration befestigt werden solle. Vor dem Eingang zum
Hotel stand eine Teppichrolle, die, so vermutete Pedro, morgen ausgerollt
werden würde, damit das Brautpaar darüber schreiten möge. Das Brautpaar! Gott,
er mochte gar nicht daran denken! Und warum in drei Teufels Namen konnten die
beiden nicht auf Boavista heiraten, wie es sich Dona Alma und sicher auch Vita
immer gewünscht hatten? Ob das auch eine der »fortschrittlichen« Ideen Leóns
gewesen war?
Joana beobachtete das verräterische Mienenspiel
ihres Mannes. Sie hoffte nur, dass er sich morgen würde zusammenreißen können.
Bestimmt war das alles nicht einfach für Vita. Sie musste schreckliche Kämpfe
mit ihren Eltern durchgestanden haben, um diese Hochzeit durchzusetzen, und
ganz sicher war Vita wie jede Braut, und wie auch sie selber es vor ihrem großen
Tag gewesen war, unsicher und nervös. Nichts würde Vita weniger gebrauchen können
als das feindselige Gesicht ihres Bruders.
Vitória sorgte sich um ganz andere Dinge als
darum, was die anderen Leute von ihrer Hochzeit halten mochten. Sie
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