Ana Veloso
keine
heruntergewirtschafteten Hühnerhöfe. Mein Vater hat entsprechende Anfragen an
die Katasterämter in Chuí und in Três Corações telegrafiert und in Erfahrung
gebracht, dass es sich um ansehnliche und profitable Güter handelt. Seitdem ist
auch er der Ansicht, dass León der passende Ehemann für mich ist.«
»Aber wir beide wissen ja, dass du nichts auf
diese Argumente gibst und noch viel weniger auf die Wünsche deiner Eltern. Was
also ist es, was dich diesen unerhörten Antrag überhaupt in Erwägung ziehen lässt?«
»Vielleicht das Bedürfnis nach körperlicher
Liebe?«
»Vergiss es! Das ist es nicht wert, dass du dich
dafür an einen Mann wie Castro wegwirfst.«
Vitória musste lauthals lachen. Eufrásia sah sie
indigniert an.
»Ja, ja, schon gut. Hör bitte auf, dich über
mich lustig zu machen, und sag mir stattdessen, was wirklich der Grund ist.«
Vitória nahm ihre Freundin bei der Hand und zog
sie aus dem Sessel hoch.
»Lass uns ein bisschen spazieren gehen. Der Tag
ist so schön, und ich kenne São Luíz ja noch gar nicht. Unterwegs erzähle ich
dir alles.«
»Ich glaube, dass Dona Iolanda mich nicht gehen
lassen wird. In meinem Zustand ist jede körperliche Ertüchtigung eine Gefahr.«
»Papperlapapp.
Die frische Luft wird dir gut tun. Wir wollen ja auch keinen Gewaltmarsch
machen, sondern nur ganz gemütlich schlendern.«
Eufrásia war keineswegs davon überzeugt, dass
ein Spaziergang ratsam wäre. Doch die Aussicht, Vitória die prachtvolle Fazenda
vorzuführen, hob ihre Laune und ihren Unternehmungsgeist erheblich. Als sie in
der Halle Dona Iolanda begegneten, bat Eufrásia gar nicht erst um Erlaubnis,
sondern setzte ihre Schwiegermutter knapp davon in Kenntnis, dass sie sich jetzt
ein wenig die Beine vertreten wolle. Noch bevor Dona Iolanda die Chance hatte,
irgendwelche Bedenken vorzubringen, schob Vitória ihre Freundin durch die Haustür
und rief, bereits auf der Außentreppe: »Ich passe schon auf sie auf.«
Die Schönheit der Fazenda und der Landschaft, in
der sie lag, nahm Vitória nur am Rande wahr. Zu sehr war sie vertieft in die
Erinnerung an die Unterhaltung, die sie mit León geführt hatte und die sie
jetzt für Eufrásia zusammenfasste. Sie hatten sich am Ufer eines künstlich
angelegten Fischteichs niedergelassen, der noch knapp in Sichtweite des
Herrenhauses lag. Ein paar Felsen waren so im Rasen unter den Eukalyptusbäumen
gruppiert worden, dass man auf ihnen bequem und schattig sitzen und den Teich
bestaunen konnte, über den sich eine Hängebrücke spannte. Vitórias Blick war
auf einen unbestimmten Punkt auf der sich kräuselnden Wasseroberfläche
gerichtet.
»Du weißt ja von meiner Überzeugung, dass es mit
der Welt, wie wir sie kennen, bald zu Ende sein wird. Wenn die Sklaverei
abgeschafft wird, stehen wir alle vor dem Aus. Dies alles hier«, und damit
deutete sie auf die malerische Umgebung, »wird verfallen, verwahrlosen,
verwildern, wenn keine Schwarzen mehr da sind, die sich darum kümmern.«
»Ich weiß, ich weiß, das hast du mir ja alles
schon einmal erzählt. Und ich finde weiterhin, dass das ausgemachter Blödsinn
ist. Aber was hat das jetzt mit León Castros Antrag zu tun?«
»León hat mir zugesichert, dass ich als seine
Frau nicht nur über meine Mitgift frei verfügen, sondern auch sein Geld
verwalten kann.«
»Ja, und?«
»Aber verstehst du denn nicht, Eufrásia? Kein
anderer Mann, den ich kenne, würde mir in dieser Hinsicht so viele Freiheiten
lassen.«
»Du willst mir doch nicht weismachen, dass du nur deshalb heiraten
willst, weil du auf diese Weise dein Vermögen retten kannst eine Maßnahme,
nebenbei bemerkt, die nur du in deinem unerklärlichen Pessimismus für notwendig
hältst.«
»Doch, genau das wollte ich damit sagen.«
»Also hast du seinen Antrag angenommen?«
»Nein.«
»Ach, und warum nicht? Ist dir vielleicht doch
noch ein kleines bisschen Verstand geblieben?«
»Im Gegenteil. Mir ist noch ein kleines bisschen
Sinn für Romantik geblieben. León liebt mich nicht, und ich liebe ihn nicht.«
»Das
wird ja immer verworrener. Warum will er dich dann heiraten?«
»Ebenfalls aus praktischen Erwägungen. Er
behauptet, dass er in seinem Alter und in seiner Position nicht mehr länger als
Junggeselle auftreten will. Er braucht eine Frau an seiner Seite. Eine
respektable Frau, die er auch mit an den Hof bringen kann, ohne sich zu
blamieren.«
Vitória war, als León ihr diese Erklärung
gegeben hatte, tief getroffen gewesen.
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