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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Anwesenden den
geringsten Zweifel, die schönste Braut war, die das Vale je gesehen hatte. Vitória
erschien die ganze Szene derartig irreal, dass sie kurz vor einem hysterischen
Lachkrampf stand. Die herausgeputzten Honoratioren der Region, die Matronen im
Sonntagsstaat, die Vibrationen der Orgelmusik, das beseelte Lächeln des
Pfarrers, das alles kam ihr vor, als sei es Teil eines gut einstudierten
Theaterstücks. Am unwirklichsten jedoch war der Anblick Leóns, der bereits vor
dem Altar stand, ein Staunen in den Augen und ein erwartungsvolles Grinsen auf
den Lippen. Er wirkte viel jünger als seine einunddreißig Jahre, trotz seiner
festlichen Garderobe, seiner geraden Haltung und seiner tadellos zurückgekämmten
Haare. Er sah aus wie ein Junge, der sich auf sein Weihnachtsgeschenk freut,
oder auf eine Belohnung. Ja, dachte Vitória, natürlich. Heute würde León die
Trophäe für seine Hartnäckigkeit erhalten – und in dem Moment, in dem er sie
bekam, wäre die Lust darauf wahrscheinlich verflogen. Geschah das nicht immer
mit Dingen oder Ereignissen, die man inständig herbeigesehnt hatte? Sobald man
erreicht hatte, was einem begehrenswert erschien, hörte es auf, begehrenswert
zu sein.
    Trotz ihrer Gedanken, die so gar nicht der Situation
angemessen waren, gelang es Vitória, einige der Anwesenden mit einem majestätischen
Kopfnicken zu bedenken. Links die Senhora Lima Duarte, rechts der junge
Palmeiras, links Joana, die ihr zuzwinkerte, rechts ein Kollege Leóns, dessen
Namen sie vergessen hatte. Vitórias Lächeln war wie eingemeißelt, es blieb
unverändert, gleich, wem sie zunickte. Erst als sie vor dem Pfarrer angelangt
waren und sie mit dem Rücken zu den Gästen stand, nahm ihr Gesicht einen
ernsten Zug an.
    Die Trauungsprozedur selber nahm Vitória wie
durch einen Schleier wahr, und ihr war deutlich bewusst, dass dies keineswegs
an dem Tüllschleier lag, der über ihrem Gesicht lag. Sie sagte mechanisch die
Formeln nach, die der Geistliche vorsprach, sie funktionierte, ohne zu denken. Einzig
beim Austausch der Ringe zeigte sie Nervosität. Ihre Hand zitterte, als León
ihr den Ring überstreifte, und als es an ihr war, ihm den Ehering anzustecken,
ließ sie das Schmuckstück beinahe fallen. Nur dem eisernen Griff von Leóns Hand
um ihre war es zu verdanken, dass auch dieses Ritual ohne Zwischenfälle über
die Bühne ging.
    »Sie dürfen die Braut jetzt küssen«, sagte der
Padre danach in feierlichem Ton.
    León hob Vitórias Schleier hoch und sah ihr
forschend ins Gesicht. Seine Braut sah nicht aus, als habe sie diesem Moment
entgegengefiebert, sie wirkte vielmehr beunruhigt, fast verängstigt.
    »Vita!«, flüsterte er, als er seinen Mund auf
ihren senkte, die Arme um ihre Taille legte und sie eng an sich heranzog.
    Vitória gab sich seiner innigen Umarmung passiv
hin. Seine Schultern umklammerte sie nur, um Halt zu finden. Doch auf die
Zuschauer wirkte die Geste wie die leidenschaftliche Erwiderung seines Kusses.
    Dona Alma tupfte sich eine Träne aus den
Augenwinkeln und vergaß für einen Augenblick ihre eigene Ergriffenheit, um sich
angesichts des anstößigen Schauspiels für ihre Tochter zu schämen. Eduardo da
Silva fühlte sich an seine eigene Hochzeit erinnert, an die ersten Jahre seiner
Ehe, und er verspürte einen kleinen neidischen Stich auf dieses Paar, dem die
schönste Zeit noch bevorstand. Pedro drehte sich betreten zu Joana um, die ihn
ihrerseits mit einem Blick ansah, aus dem sowohl Rührung als auch Begierde
sprachen. João Henrique, der in letzter Sekunde in Vassouras eingetroffen war
und der, wie es gar nicht seiner Art entsprach, noch immer ein wenig zerzaust
von der Reise aussah, studierte das Brautpaar mit der Neugier eines
Insektenforschers, der all seine Theorien von der Praxis widerlegt sieht. Nie hätte
er gedacht, dass Pedros Schwester tatsächlich einem Mann wie León, einem
Habenichts und Sklavereigegner, das Jawort geben würde. Aaron, der neben João
Henrique saß, wirkte unbeteiligt. Seine Miene ließ nichts von dem Schmerz
durchscheinen, der ihm fast das Herz zerriss.
    In der Nähe der Tür, dicht an die Wand gedrückt
und im Halbdunkel versteckt, stand die Schwarze Witwe. Auch ihr Gesicht war zu
einer undurchdringlichen Maske erstarrt. Er hatte es tatsächlich geschafft,
dieser Heuchler! Als er sich aufgemacht hatte, um sich, wie er sagte, »das
begehrteste Mädchen der Provinz zu schnappen«, hatte sie das Ganze für einen
Scherz gehalten, ein Spiel, ein

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