Ana Veloso
Abenteuer. Nichts Ernstzunehmendes jedenfalls.
Und jetzt stand er vor dem Altar und küsste seine Braut so lange und intensiv,
dass sich jedem der Zuschauer unwillkürlich der Gedanke daran aufdrängen
musste, wie leidenschaftlich erst die Hochzeitsnacht werden würde. Die Schwarze
Witwe ballte unbewusst die Hand zu einer Faust und wünschte dem jungen Glück
die Pest an den Hals.
Vor dem Kirchenportal blieben Vitória und León
stehen, um die Glückwünsche entgegenzunehmen. Vitórias feuchte Augen wurden von
mehreren Gratulanten kommentiert.
»Ach ja«, seufzte die Witwe Fonseca, »so eine
Hochzeit ist wirklich bewegend. Alles Gute, meine Liebe!«
»Wie gut Ihnen die Freudentränen stehen, Vitória«,
bemerkte die Konditorsfrau, Dona Evelina. An León gewandt fuhr sie fort: »Sie
sind ein Glückspilz, junger Mann.«
Und so ging es mindestens eine Stunde weiter. Zu
den Gästen, die an der Trauung teilgenommen hatten, gesellten sich noch die
Leute, die nicht mehr in die Kirche gepasst hatten, außerdem die Sklaven sowie
zahlreiche Bürger von Vassouras, die gar nicht eingeladen worden waren.
Sie alle wollten ihre Hände schütteln, ihre
Wangen küssen, ihnen gut gemeinte Ratschläge erteilen. Vor allem aber wollten
sie sich kein Detail der aufsehenerregendsten Hochzeit seit Jahren entgehen
lassen.
Den Ursprung ihrer Tränen verstand Vitória
selber nicht richtig zu deuten, eines aber wusste sie mit Sicherheit: Es waren
keine Freudentränen, nicht im herkömmlichen Sinn. Sie freute sich nur darüber,
dass diese Farce bald ein Ende hatte. Und sie war froh, dass sie nicht auf
Boavista geheiratet hatten.
Es war ihr eigener Vorschlag gewesen, den León
aber mit Begeisterung aufgenommen hatte.
»Die vielen Gäste passen gar nicht alle in
unsere Kapelle. Und all die Leute von außerhalb, wo sollen wir die
unterbringen? Es ist wirklich praktischer, wenn wir in Vassouras heiraten, das
mit seiner wunderschönen großen Kirche und dem Park direkt davor den perfekten
Rahmen bietet. Und das Hotel Imperial sowie die anderen Gasthöfe der Stadt
haben genügend Zimmer, um alle zu beherbergen«, hatte sie angeführt. In
Wahrheit wollte sie gar nicht in ihrem Elternhaus feiern. In Anbetracht ihrer
Motive für die Hochzeit wäre ihr das wie eine Entweihung Boavistas erschienen.
Zudem würden sie in Vassouras nicht von Padre Paulo getraut werden, den Vitória
seit der Zeit ihres Hausarrestes und der vielen Beichten, die sie damals
ablegen musste, zu verabscheuen gelernt hatte.
»Ja, vielleicht ist es wirklich besser so«,
hatte León geantwortet, der sich seine Erleichterung nicht anmerken lassen
wollte. Eine Hochzeit auf neutralem Terrain war ihm hundertmal lieber als eine
auf Boavista.
Von neutralem Terrain konnte allerdings nicht
wirklich die Rede sein. Halb Vassouras stand in geschäftlicher oder
freundschaftlicher Beziehung zu Eduardo da Silva und seiner Familie, und so war
es nicht verwunderlich, dass an diesem sonnigen Mai-Samstag unzählige Menschen
die Straßen rund um den Platz säumten, um einen Blick auf das skandalumwitterte
Paar zu erhaschen.
Vor dem Springbrunnen, der sich auf der steil
abfallenden Grünfläche vor der Kirche befand, posierten Vitória und León,
sowohl allein als auch inmitten ihrer Nächsten, für den Fotografen. Im
Hintergrund erhob sich die Kirche Nossa Senhora da Conceição, umrahmt wurde das
Ganze von den Blumenbeeten und Palmen, die den Park säumten. Es hätten
wunderschöne Fotografien werden können, wäre nicht Vitória in dieser merkwürdigen
Stimmung gewesen. Sie schaute so ernst drein, als käme sie gerade von einer
Beerdigung und nicht von ihrer eigenen Hochzeit.
Ihre Laune hob sich erst viele Stunden später,
als das Bankett, das Anschneiden der Torte und die ermüdenden Reden hinter
ihnen lagen und zum Tanz aufgespielt wurde. Weil alle darauf bestanden hatten,
mit ihr anzustoßen, aber auch, um nicht noch die Gerüchte einer Schwangerschaft
zu schüren, hatte sie ein Glas Champagner getrunken. Er hatte sie belebt, hatte
ihr die Spur eines Hochgefühls gegeben, das sie eigentlich auch ohne den Genuss
von Alkohol hätte fühlen müssen. Nach dem Eröffnungstanz mit León tanzte sie
mit ihrem Vater, mit Pedro, mit Aaron, mit Senhor Alvarez, Doutor Nunes, João
Henrique. Irgendwann begann sich vor ihren Augen alles zu drehen, und wäre
nicht León da gewesen, um ihr Halt zu geben, wäre sie wahrscheinlich umgekippt.
»Komm, mein Herz. Es ist schon spät.« Damit hob er sie hoch
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