Ana Veloso
hatte von
vornherein gewusst, dass die Vermählung mit einem Abolitionisten unter den
reichen Kaffeebaronen des Vale do Paraíba auf Ablehnung stoßen würde, und es
war ihr herzlich egal. Den Segen ihrer Eltern hatte sie, das reichte. Viel mehr
beschäftigte Vitória derzeit die Frage, ob das Wetter mitspielen würde.
Keinesfalls wollte sie unter einem trüben, regnerischen Himmel den Weg zur
Kirche abschreiten oder die Festgesellschaft unter tropfnassen, schwarzen
Regenschirmen begrüßen. Wenn schon ihre Beweggründe für eine Ehe mit León so gänzlich
unromantischer Natur waren, dann sollten wenigstens die Zeremonie und die Feier
perfekt werden – und dazu gehörte nun einmal Sonnenschein. Sie sah skeptisch
aus dem Fenster und beobachtete die dunklen Wolkenberge, die sich am Horizont
auftürmten.
»Das wird schon, Sinhá Vitória«, redete ihr
Miranda gut zu, die den Blick ihrer Herrin richtig gedeutet hatte. »Der Wind
wird stärker, er wird die Regenwolken fortwehen.«
»Ach, was weißt du schon?«, brauste Vitória auf
und schämte sich augenblicklich für ihre unbeherrschte Reaktion. Was konnte
Miranda dafür, dass sie so aufgeregt und gereizt war? Das Mädchen schlich sich
lautlos davon. Vitória sah aus dem Augenwinkel, wie sich die Tür hinter ihr
schloss, und atmete tief durch. Nur noch vierundzwanzig Stunden, dachte sie.
Morgen um diese Zeit wäre sie bereits Senhora Castro da Silva, und am Tag
darauf, gleich frühmorgens, wären sie und León schon auf dem Weg in die
Hauptstadt. Himmel, was sie bis dahin noch alles zu erledigen hatte! Vitória
gab sich einen Ruck, riss sich von dem Anblick der dramatischen
Wolkenformationen und den im Wind wogenden Kaffeesträuchern los und widmete
sich wieder ihrem Gepäck. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie ihr
Elternhaus für mehr als vier Wochen verlassen. Ein Urlaub in Bahia, die alljährliche
Sommerfrische in Petrópolis, ein Besuch bei Freunden ihrer Eltern in Porto
Alegre, die gelegentlichen Ausflüge nach Rio de Janeiro das waren die einzigen
Gelegenheiten gewesen, bei denen Vitória überhaupt einmal aus Boavista
herausgekommen war. Und das natürlich immer in Begleitung von Angehörigen. Von
einer ausgedehnten Europareise, wie sie manche ihrer Freundinnen unternahmen,
um in der Alten Welt in gehobener Lebensart unterwiesen zu werden und sich auf
die Suche nach einem Ehemann zu machen, hatte Vitória bisher nur träumen können.
Das alles würde sich nun ändern. León hatte ihr
versprochen, sie mit nach Paris, London, Wien und Florenz zu nehmen, mit ihr in
die Vereinigten Staaten zu reisen, Nordafrika und Indien zu erkunden. Er würde
sie zu schneeverwehten Landschaften bringen, zu ewigen Wüsten und zu blühenden
Kirschbäumen, er würde mit ihr im Mittelmeer baden und auf zugefrorenen Seen
Schlittschuh laufen, mit ihr über geheimnisvolle orientalische Märkte
schlendern und die berühmtesten Museen der Welt besuchen. All die Wunder dieser
Erde, die Vitória nur aus Büchern kannte, würde sie – endlich! – selber in
Augenschein nehmen dürfen. Sie würde erfahren, wie Erdbeeren schmeckten, wie
sich Schnee anfühlte, wie Eichenwälder dufteten. Das allein war Grund genug, León
zu heiraten. Ja, ein bisschen freute sie sich sogar auf den morgigen Tag, der
ihrem Leben eine ganz neue Richtung geben würde. Wenn nur das Wetter
mitspielte!
Der Wind zerrte an den Papierblüten, drohte das
Zelt aus der Verankerung zu reißen, bog die Palmen auf dem Platz vor der
Kirche. Als Vitória aus der Kutsche stieg, eine Hand in die ihres Vaters
gelegt, hatte sie Mühe, ihren Schleier auf dem Kopf festzuhalten. Doch dafür
erstrahlte der Himmel in einem so intensiven Blau, wie sie es sich schöner
nicht hätte ausmalen können. Die Luft war angenehm warm und trocken, sodass Vitória
nicht befürchten musste, in ihrem aufwändigen Seidenkleid zu schwitzen. Das
Pfeifen des Windes zerstörte die merkwürdige Stille, die sich auf den Platz
gelegt hatte – alle Hochzeitsgäste waren bereits in der Kirche und warteten
dort auf die Braut. Vitória sah ihren Vater an, dem der Stolz ins Gesicht
geschrieben stand.
»Also dann ...« Ihre Stimme zitterte leicht.
Eduardo da Silva nickte seiner Tochter
aufmunternd zu und führte sie in die Kirche, in der in diesem Moment die Orgel
ertönte.
Die Bänke waren mit weißen Rosen und
Schleierkraut geschmückt. Alle Köpfe drehten sich zu Vitória, die am Arm ihres
Vaters einherschritt und, daran hatte kein Einziger der
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