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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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und trug sie,
begleitet vom Gelächter und den Rufen der letzten Gäste, auf beiden Armen die
Treppe hoch.
    Mit einem Fußtritt schloss León die Tür hinter
sich. Er legte Vitória aufs Bett und setzte sich neben sie. Zärtlich strich er
ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann beugte er sich zu ihr hinab, um sie zu
küssen. Vitória wand ihr Gesicht ab. Sie wollte ihn nicht sehen lassen, wie
sich ihre Augen mit Tränen füllten. Die Anspannung und die Nervosität der
vergangenen Wochen fielen mit einem Mal von ihr ab. Mit erschreckender
Klarsicht erkannte Vitória plötzlich, dass sie einen schwerwiegenden Fehler
begangen hatte. Wie hatte sie sich nur dazu hinreißen lassen können, einen Mann
zu heiraten, den sie nicht liebte? Wie hatte sie es jemals zulassen können,
dass die äußeren Umstände mehr galten als ihre innere Stimme? Leóns hartnäckiges
Werben um sie, das Zureden ihrer Eltern, und, am schlimmsten von allem, ihre
eigene Geldgier hatten sie zu einer Hochzeit getrieben, die sie nicht wirklich
gewollt hatte. Die hektische Betriebsamkeit, die während der Hochzeitsvorbereitungen
von ihr Besitz ergriffen hatte, hatte ihren Verstand dann vollends vernebelt.
So beschäftigt war sie mit organisatorischen Dingen gewesen, dass das
Wesentliche in den Hintergrund geraten war. Erst jetzt, da es zu spät war, ging
Vitória das ganze Ausmaß dessen auf, was sie getan hatte. Das war kein
Abenteuer, kein Streich, der schnell wieder vergessen war, kein kleiner
Ausrutscher, der später eine lustige Anekdote abgab. Sie war jetzt verheiratet.
Sie hatte vor Gott und vor hunderten von Zeugen geschworen, León auf immer zu
ehren und zu lieben, diesen Fremden, der jetzt auf der Bettkante saß, sich zu
ihr hinabbeugte und den Kopf in ihrem Haar vergrub.
    »León, ich ... ich fühle mich nicht wohl.«
    »Schsch, Sinhazinha. Ich weiß. Dreh dich um,
damit ich dein Kleid öffnen kann.«
    »León, bitte! Was bist du nur für ein rücksichtsloses
Tier!«
    León lachte trocken. Er drehte Vitória auf die
Seite und begann ihr Kleid aufzuknöpfen.
    »Dir geht es schlecht, weil du den ganzen Tag
nichts gegessen hast, weil dir der Champagner auf den leeren Magen nicht
bekommen ist, weil es heiß ist, und vor allem, weil dein zu eng geschnürtes
Korsett dich einengt. Mein Gott, diese Dinger müssten verboten werden!«
    Unsanft öffnete León die Schnüre des Korsetts
und lockerte sie so weit, dass Vitória wieder frei atmen konnte.
    »So, und jetzt besorge ich uns etwas Essbares.«
    Kurz nachdem die Tür hinter León ins Schloss
gefallen war, hörte Vitória von draußen hämisches Gelächter. Wahrscheinlich
machten sich die verbleibenden Gäste, überwiegend junge Männer, über León
lustig, der seine Frau mit profanen Nahrungsmitteln und nicht mit anderen Köstlichkeiten
beglücken durfte. Vitória fühlte sich elend. Nicht genug damit, dass sie sich
selber und alle Welt mit ihrem Schwur vor dem Altar betrogen hatte, nein, jetzt
enthielt sie León auch noch seine Rechte als Ehemann vor. Himmel, was war nur
los mit ihr? Es war ihre Hochzeitsnacht, konnte sie sich nicht einfach freuen
und sich den Liebkosungen ihres frisch angetrauten Gatten hingeben, wie andere
Frauen auch? Und musste sie sich ausgerechnet heute so krank fühlen, sie, der
sonst nie auch nur das Geringste fehlte?
    Vitória richtete sich im Bett auf. León hatte
Recht gehabt, seit das Korsett sie nicht länger einschnürte, ging es ihr bereits
bedeutend besser. Als sie sich das Kopfkissen in den Rücken schob, stolperte León
in den Raum, mühsam das Tablett haltend, das er von unten mitgebracht hatte.
    »... kostet sie schließlich ihre ganze Kraft«,
rief León über den Flur und fiel mit einem schmutzigen Lachen in das Gejohle
der Männer ein. Doch kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, änderte
sich sein Gesichtsausdruck. Besorgt sah er Vitória an.
    »Ah, es geht dir anscheinend schon besser. Aber
warte nur, bis du etwas gegessen hast. Hier, ich habe noch Nougatpralinen, Brot
und Pâté, Hühnerkeulen, Ananasscheiben und Forellenterrine ergattert.« Damit
breitete er eine Serviette auf dem Bett aus, auf der er das improvisierte Menü
anrichtete.
    Vitória musste lachen. »Ich glaube, wenn ich das
alles vertilgt habe, ist mir erst richtig übel.«
    »Oh, aber es war keine Rede davon, dass du das
alles aufessen sollst. Ich selber habe nämlich auch Hunger, weißt du. Dona Alma
wollte so oft mit mir tanzen, dass ich völlig entkräftet bin.«

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