Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
Vom Netzwerk:
Kaum lässt man sie ein paar
Stunden aus den Augen, schludern sie. Sie verlegen die Fliesen schief, zertrümmern
die schönen Bleiglasfenster, schlagen den alten Stuck genau dort von der Decke,
wo er noch tadellos ist, bekleckern das kostbare Parkett mit Farbe, die sie
nicht rechtzeitig wegwischen. Eine Bande von Faulenzern, Nichtskönnern und
Trinkern! Nur absurde Rechnungen, die können sie schreiben, diese Betrüger! Der
Dachdecker wollte mir doch allen Ernstes statt der benötigten dreißig Ziegel
dreihundert Ziegel berechnen ...«
    León wusste, dass nur die besten,
renommiertesten und teuersten Handwerker in ihrem Haus arbeiteten, dennoch
konnte er Vitórias Beschwerden nachvollziehen. Er hatte sich selber oft genug über
unwillige und unfähige Leute geärgert, und er hatte sich wiederholt gefragt,
wie die grandiosen Brücken, Paläste oder Türme dieser Welt jemals hatten
errichtet werden können, wenn auf diesen Baustellen genauso gearbeitet wurde
wie auf allen anderen, die er kannte. Wahrscheinlich nur mit einer Bauaufsicht,
die so streng und unnachgiebig war wie Vita.
    Als es ans Einrichten des neuen Hauses ging, war
Vitória nicht minder eigenwillig. Mit einem Eifer, der an Fanatismus grenzte,
suchte sie Stoffe und Tapeten aus. Sie ließ Stühle und Sofas neu polstern,
Tische und Schränke aufarbeiten, Teppiche nach ihren Entwürfen weben. Sie
graste Kunstgalerien nach passenden Gemälden ab, sie ergänzte Porzellan und Wäsche
mit Stücken, die der neuen Farbgestaltung entsprachen, und sie trieb das
Personal auf die Palme, indem sie es alle Möbel und Dekorationsgegenstände von
einer Ecke in die andere tragen ließ, nur um dann festzustellen, dass die neu
lackierte Truhe vielleicht doch besser in der Halle stand und nicht im
Esszimmer. Mitten in diesem Durcheinander behielt Vitória jedoch, anders als es
auf Außenstehende wirken mochte, einen kühlen Kopf. Es gelang ihr, sich
nebenbei noch den Vorbereitungen für die Einweihungsfeier zu widmen, die
Einladungskarten zu schreiben, das Menü zu bestimmen, rechtzeitig die
Bestellungen bei Weinhändlern und Patisserien aufzugeben, die Sitzordnung
festzulegen, ein ausgefallenes Kleid bei der berühmtesten Schneiderin Rios in
Auftrag zu geben. Während León, Pedro, Joana, alle ihre Freunde sowie das
gesamte Personal davon überzeugt waren, dass das Haus bis zur Einweihungsfeier
noch weit davon entfernt sein würde, funktionsfähig zu sein, geschweige denn Gäste
zu beherbergen, war Vitória ein Ausbund an Selbstsicherheit. Hinter der Panik,
mit der sie Dienstboten wie Handwerker infizierte, verbarg sich eine tiefe
Gelassenheit.
    »Das ist ganz einfach, León. Wenn wir uns den
16. Dezember als Termin ausgesucht hätten, würden wir wahrscheinlich auch bis
zum 16. Dezember brauchen, damit alles perfekt ist. Aber da wir uns nun einmal
auf den 16. Oktober kapriziert haben, wird eben alles am 16. Oktober fertig.
Und glaube mir: Es wird alles so sein, wie wir es uns immer erträumt haben.
Unser Haus und unser Fest werden Furore machen.«
    So war es dann auch. Der Dekorateur verließ am
Abend des 15. Oktober 1887 das Haus, reif für einen längeren Aufenthalt fernab
jeglicher Zivilisation. Noch in derselben Nacht wurden die Dienstboten auf eine
harte Probe gestellt, indem sie die nunmehr fertigen Gästezimmer aufs Gründlichste
reinigen, die Betten beziehen, Handtücher bereitlegen mussten. Am nächsten Tag
wäre dafür keine Zeit mehr, denn dann mussten sie die Gesellschaftsräume für
die Feier herrichten, erneut Möbel rücken, die Tische eindecken, das Silber und
das Kristall aus den Transportkisten auspacken und blank reiben. Der Gärtner
musste ebenfalls eine Nachtschicht einlegen, um die Blätter der alten Bäume zum
Glänzen zu bringen. Auf ihnen hatte sich eine dicke Schicht weißen Baustaubs
abgelegt, nachdem so viele Mauern eingerissen und Fenster erneuert worden waren
und es wochenlang nicht geregnet hatte. Zudem waren die neuen Pflanzen, die die
Auffahrt und den Eingang des Hauses zieren sollten, erst gestern angeliefert
worden – der Mann war den Tränen nahe angesichts all der Arbeit, die er
innerhalb so kurzer Zeit verrichten sollte. Jeder vernünftige Mensch hätte ihm
dafür drei Wochen Zeit gelassen, aber Sinhá Vitória, diese Besessene!, fand
sechsunddreißig Stunden durchaus realistisch. Was für eine Prüfung diese Frau
doch war!
    Denselben Gedanken hatte León, als er am
Nachmittag des 16. Oktober mitsamt seinen Koffern in dem neuen Haus

Weitere Kostenlose Bücher