Ana Veloso
selten. Sie wusste, wo er lebte, doch aufgrund
ihrer beider Arbeitszeiten und der Entfernung zwischen ihren Wohnvierteln
besuchte sie ihn nicht öfter als einmal im Monat. Er selber hätte Fernanda im
umgekehrten Fall öfter besucht, dachte Félix verbittert. Wahrscheinlich war sie
zu beschäftigt damit, am Arm ihres lächerlichen Verehrers durch die Straßen zu
schlendern und die anderen Mädchen neidisch zu machen. Und wahrscheinlich ließ
Zeca keine Gelegenheit aus, Fernanda zu hofieren, ihr zu schmeicheln, sie
auszuführen – bis er sie eines Tages erobert hätte. Wenn es nicht schon
passiert war. Félix war rasend vor Eifersucht. Aber was Fernanda konnte, konnte
er schon lange!
Je mehr er sich dem Haus des Ehepaares Castro näherte,
desto nervöser wurde Félix. Er blieb stehen und lugte vorsichtig um die Straßenecke.
Das Haus, dessen himmelblaue Fassade in der Nachmittagssonne leuchtete, wirkte
verlassen. Kein Geräusch war zu hören, kein Gärtner arbeitete in dem gepflegten
Vorgarten. Einzig ein geöffnetes Fenster in der oberen Etage, in dem übermütig
ein weißer Vorhang flatterte, verriet, dass irgendjemand zu Hause sein musste.
Félix hoffte, dass Adelaide zum verabredeten Zeitpunkt am Hinterausgang
erscheinen würde. Auch wenn ihm wahrscheinlich nicht mehr als eine Standpauke
drohte, hatte er nicht die geringste Lust, sich von León erwischen zu lassen. Félix
hörte die Kirchturmglocken von Nossa Senhora da Glória vier Uhr schlagen.
Adelaide musste jeden Augenblick herauskommen. Félix schlich sich zu dem
Holzgatter, das den Hinterhof des Hauses von der Straße trennte. Er ordnete mit
den Händen das Haar seiner Perücke, nestelte an seiner Jacke herum und polierte
seine Schuhe, indem er sie am Hosenbein abrieb. Anschließend klopfte er die
Hose ab. Wie ein verliebter Junge, dachte Félix selbstkritisch. Dabei war
Adelaide, eine der Küchenhilfen, die er bei seinen zahlreichen Besuchen in Leóns
alter Wohnung kennen gelernt hatte, nichts weiter als eine Notlösung. Ein Mann
wie er musste schließlich eine Gefährtin haben, oder etwa nicht? Und wenn
Fernanda ihn verschmähte, dann musste er sich eben eine andere Frau suchen,
eine, die seinen Annäherungsversuchen aufgeschlossener gegenüberstand, die
samstags mit ihm zum Tanz in die gafieira nahe dem Aquädukt in Lapa ging
und die ihm erlaubte, sie zu umarmen und zu küssen, wenn schon nicht das, was
er eigentlich gerne mit ihr tun wollte. Aber gut, anständige Frauen mussten
sich nun einmal zieren, so gehörte sich das.
Adelaide war nicht die schlechteste Wahl. Sie
war ein nettes Mädchen. Ein Jahr jünger als er, von der gleichen hellbraunen
Farbe und von kräftiger Statur, passte sie, zumindest rein äußerlich, perfekt
zu Félix. Auch sie war mit Leóns Hilfe von einer Fazenda geflohen, auf der ihr
ein ungleich grausameres Schicksal gedroht hatte als Félix. Adelaide selber
sprach nicht gern über ihre Zeit als Sklavin, aber León hatte Félix ein wenig
von ihrer Geschichte erzählt, um ihm die Augen zu öffnen für die Grausamkeit,
zu der manche ihrer Landsleute fähig waren. Adelaide war von ihrem Besitzer zu
einem perversen Zuchtprogramm ausgewählt worden, dessen Ziel es war, die stärksten
und gesündesten Sklaven miteinander zu paaren, um eine neue Generation
besonders robuster Schwarzer zu zeugen. Adelaide hätte Kinder austragen müssen,
die ihr sofort nach der Geburt weggenommen worden wären, und sie wäre, nachdem
sie eine ausreichende Zahl an Nachkommen produziert hätte, ausgemustert worden,
um den Rest ihrer Kraft nutzbringend auf den Kaffeefeldern einzusetzen. In
letzter Sekunde war Adelaide, die damals gerade dreizehn Jahre alt war, dank Leóns
Hilfe die Flucht geglückt, und sie war ihrem Retter so treu ergeben, dass sie
ihr Leben für ihn opfern würde, wenn es nötig sein sollte.
León hatte sich, indem er die Jugendlichen aus
der Sklaverei befreit hatte, nicht einmal gesetzeswidrig verhalten. Seit gut
zwanzig Jahren gab es bereits das »Gesetz des freien Bauchs«, das die Kinder
von Sklaven zu freien Menschen erklärte. Dessen Umsetzung schien allerdings
noch Lichtjahre entfernt. Welches Kind würde seine Eltern den Repressalien des
Senhors aussetzen, die ihnen unweigerlich drohten, wenn das Kind seine Freiheit
forderte? Und welcher Schwarze war schon den hinterlistigen Manövern der
Fazendeiros gewachsen, die absurde Ablösesummen verlangten? »Natürlich bist du
ein freier Mensch, Luisinho, du kannst gehen, wann immer es
Weitere Kostenlose Bücher