Ana Veloso
gefüllt hatte und
das schrille Signal zur Abfahrt ertönte.
An der Station am Fuße des Corcovados wartete
bereits ihr Kutscher. León gab ihm Anweisungen, sie in den Tijuca-Wald zu
bringen, was der Mann mit einem Stirnrunzeln quittierte. Der Weg dorthin war
nicht ungefährlich, zudem war die Fahrt für Tier und Mensch mühsam. Der Weg in
den Wald führte über steile Hänge und an tiefen Schluchten entlang. Oft war die
Strecke unpassierbar, weil Bäume umgestürzt waren oder vom Regen aufgeweichte
Lehmmassen sich den Berg herabwälzten. Aber gut, er würde sein Bestes
versuchen. Da es seit Wochen trocken und warm war, standen die Chancen gut,
ohne größere Schwierigkeiten durchzukommen.
Vitória enthielt sich jeden Kommentars. Auf gar
keinen Fall wollte sie sich wie ein zänkisches Weib aufführen, ganz gleich, wie
Recht sie mit ihrer Kritik haben mochte. Aber es fiel ihr schwer, den Mund zu
halten. Die Fahrt war grauenhaft. Die Kutsche rumpelte heftig über die tiefen
Furchen, die das herablaufende Wasser der Regenzeit hinterlassen hatte. Alle
paar Minuten machte die Kutsche einen gewaltigen Satz, bei dem Vitória glaubte,
ihr Rückgrat müsse durchbrechen, ganz zu schweigen von der Achse ihres Gefährts.
Aber beides hielt den Belastungen stand. Der Weg war außerdem extrem kurvig,
sodass Vitória immer wieder unfreiwillig an León heranrutschte oder aber von
seinem Gewicht an die Tür gedrückt wurde. Das alles nahm Vitórias
Aufmerksamkeit derartig in Anspruch, dass an ein Bewundern der Landschaft nicht
zu denken war. Erst als die Kutsche endlich angehalten und Vitória ihren
schmerzenden Körper gedehnt und ausgestreckt hatte, fiel ihr die außergewöhnliche
Schönheit des Waldes auf. Der würzige Duft von Erde und Blätterwerk stieg ihr
in die Nase, das sanfte Rascheln der Baumkronen sowie der Gesang der Sabiás und
der Azulões machte sie ganz benommen. Was für ein Zauberwald!
Über einen Pfad, der über moosige Felsen, kleine
Rinnsale und knorrige Baumwurzeln führte, gelangten sie zu einer Lichtung, an
der Vitória sich eine Pause erbat. Weder ihre Schuhe noch ihr langes Kleid
waren für einen Aufstieg wie diesen geeignet, und sie hatte, öfter als es ihr
lieb war, mit einer Hand den Rock raffen und mit der anderen nach Leóns Hand
greifen müssen, um überhaupt voranzukommen. Außer Atem ließ sieh sich auf einem
Baumstamm nieder, den der letzte Gewittersturm gefällt haben mochte.
»Es ist nicht mehr weit, Vita. Und wenn wir
angekommen sind, wirst du für die quälende Fahrt und den schweren Marsch mehr
als belohnt, das verspreche ich dir.«
Vitória sah León skeptisch an. Irgendwie gelang
es ihm immer, selbst in die harmlosesten, freundlichsten Worte eine gewisse
Zweideutigkeit zu legen.
»Und wenn du gar nicht mehr weiterkannst, dann
trage ich dich.« Vitória raffte sich wieder auf, um den Weg fortzusetzen.
Ein paar Minuten später erreichten sie einen
kleinen See, der von einem Wasserfall gespeist wurde. Das herabfallende Wasser
rauschte ohrenbetäubend laut. Ein feiner Sprühnebel lag über dem See. Ah, das
war genau das, was sie jetzt brauchte! Vitória zog die Schuhe aus, untersuchte
die dicken roten Blasen an ihren Fersen und setzte sich dann auf einen Stein am
Ufer des Sees, um ihre wunden Füße zu kühlen. León setzte sich neben sie. Er
hatte ebenfalls seine Schuhe ausgezogen, die Hosenbeine hochgekrempelt und ließ
nun seine Beine im Wasser baumeln. Vitória starrte wie gebannt auf seine Waden,
beobachtete das Spiel der Muskeln, die sich unter der hellbraunen Haut mit den
schwarzen, gekräuselten Haaren abzeichneten. Wie schön Leóns Beine waren, wie
maskulin und stark!
León hielt unter der Wasseroberfläche seinen Fuß
neben ihren. Sie sahen seltsam verzerrt aus, ihre Füße, dennoch erfüllte Vitória
der Anblick seines großen, kräftigen Fußes neben ihrem kleinen weißen mit einem
Gefühl von Rührung. Vitória wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Ist dir warm, Sinhazinha? Ich wüsste, wie du
dich abkühlen kannst.«
»Ich glaube, du brauchst eine Abkühlung noch
dringender als ich.«
»Ja, wahrscheinlich. Also, kommst du?« Mit einem
Satz stand er auf, zog sich vollständig aus und machte einen gekonnten
Kopfsprung ins Wasser. Vitória war so fasziniert von seinem Körper, der elegant
durchs Wasser glitt, dass sie sich nicht von der Stelle rührte. In der Mitte
des Sees tauchte er prustend auf. »Komm, meine geliebte Sinhá, das Wasser
Weitere Kostenlose Bücher