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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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die Geschichte
anhören, aber ganz bestimmt würde sie León weder Glauben schenken noch
verzeihen. Niemals. Sie würde nur Dona Doralice zuliebe mitkommen, die zwar
anscheinend in die Machenschaften Leóns verwickelt war, aber nicht halb so
verschlagen wirkte wie ihr Sohn, und die zudem ebenfalls ein Opfer der Lügen Leóns
war. Was war das nur für ein Mann, der seine Mutter für tot erklärte und sie
von seiner eigenen Hochzeit fern hielt?! Vitória bekam vor Ekel eine Gänsehaut.
Und diesem Mann hatte sie sich noch vor einer halben Stunde an den Hals werfen
wollen!
    Félix und Adelaide bekamen kaum noch Luft,
nachdem sie so schnell gerannt waren, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her.
Félix fuchtelte wie wild mit den Händen vor Adelaide herum, um ihr zu erklären,
was passiert war. Dabei wusste sie längst, wovor er eine solche Furcht hatte.
    »Félix, beruhige dich. Die Sinhá hat dich
gesehen. Na und? Was kann sie dir schon antun?«
    Sie konnte ihn auspeitschen lassen, ihn auf
Boavista die Schweine hüten lassen, ihm Nahrung vorenthalten, ihm all die
bescheidenen Vergnügungen untersagen, die den Sklaven vergönnt waren, oder ihn –
allein, hungrig, verletzt und verängstigt – in das dunkle Loch stecken, das
eigens für die Bestrafung besonders schwerer Vergehen vorgesehen war,
wenngleich er nie erlebt hatte, dass irgendjemand dort eingesperrt wurde. Sie
konnte ihm sein Leben zur Hölle machen, das konnte sie tun! Aber Adelaide
behandelte ihn so, als habe er nur ein Gespenst gesehen, wo doch jedes Kind
wusste, dass es keine Gespenster gab. Oh, und ob es Gespenster gab! Vitória da
Silva war eines davon.
    »Félix, dir wird nichts passieren. Senhor León
wird dir helfen. Er wird ihr verbieten, dir irgendetwas anzutun.« In demselben
Augenblick, in dem Adelaide die Worte ausgesprochen hatte, wusste
    sie, dass sie Unsinn waren. Im Gegensatz zu Félix,
der nur das Mädchen Vitória von früher kannte, war sie mit dem Charakter der
    erwachsenen Sinhá Vitória vertraut. Adelaide
wusste, dass Vitória sich von niemandem etwas vorschreiben ließ, am
allerwenigsten von ihrem Mann.
    Félix gab nichts auf das Gerede von Adelaide.
Was wusste sie schon? Es war ja nicht sie, der das Ende ihrer Freiheit drohte.
Natürlich bestand die winzige Chance, dass Sinhá Vitória sich mit den Tatsachen
abfand. Aber sollte er es darauf ankommen lassen? Er hätte Adelaide sehen
wollen, wenn sie diejenige gewesen wäre, die am helllichten Tage ihrem
ehemaligen Besitzer begegnet wäre!
    Ein schönes Spektakel wäre das gewesen, sie wäre
wahrscheinlich unter hysterischen Schreien zusammengebrochen und hätte sich
wimmernd abführen lassen. So weit würde es bei ihm niemals kommen. Er musste
wieder alles hinter sich zurücklassen, die neue Arbeit, die neue Hütte, die
neuen Bekannten, alles. Denn wenn Vitória erst Adelaide ins Kreuzverhör nahm, würde
schnell genug herauskommen, wo er wohnte. Dieses Risiko konnte er nicht
eingehen.
    Félix gab Adelaide zu verstehen, dass sie sich eine
Zeit lang nicht würden sehen können.
    »Aber Félix, du übertreibst maßlos! Warte doch
erst einmal ab, was passiert. Und außerdem: Hat dir Senhor León nicht erklärt,
dass du, weil du nach 1864 geboren bist, sowieso ein freier Mensch bist? Dir
kann überhaupt nichts passieren.«
    Ach nein? Er hatte genügend Geschichten von
jungen Schwarzen gehört, die wieder eingefangen worden waren, um zu wissen,
dass den Fazendeiros immer irgendein Grund einfiel, um ihre wertvollen
menschlichen Arbeitstiere an ihre Farmen und Felder zu binden. Am geläufigsten
und erfolgversprechendsten war es für die Senhores, die rebellischen Sklaven
erfundener Verbrechen zu bezichtigen – am Ende zogen fast alle das Leben auf
den Kaffeefeldern einem »freien« Leben im Gefängnis vor, das ihnen unweigerlich
gedroht hätte. In ganz Brasilien gab es nicht einen Polizisten oder Richter,
der der Aussage eines Schwarzen mehr Glauben geschenkt hätte als der eines weißen
Senhors.
    Félix ließ sich in seinem Entschluss nicht durch
Adelaide beirren. Er würde Unterschlupf an einem Ort finden, an dem ihn kein
Mensch, nicht einmal León, vermuten würde. Gar nicht weit entfernt von hier,
und doch in einer gänzlich anderen Welt.
    Das Ticken der Standuhr im Salon machte ihr
Schweigen hörbar. Vitória war die Erste, die das stille Herumsitzen nicht länger
ertragen konnte. Sie stellte ihre Kaffeetasse klirrend auf dem Glastisch ab und
ergriff das Wort.
    »Also, was ist? Ich

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