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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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nehmen. Sie selber hatte oft harsche
Kritik an León geübt, hatte ihm übergroßen Idealismus und mangelndes Realitätsbewusstsein
vorgeworfen. Ihrer Meinung nach würde es noch mindestens hundert Jahre dauern,
bis Weiße und Schwarze gleichberechtigt wären, wenn es überhaupt je so weit käme.
Doch dass ihre Mutter, die immerhin die Gastfreundschaft ihres Schwiegersohns
aufs Äußerste strapazierte, sich anmaßte, schlecht über León zu reden, das
empfand Vitória als undankbar und geschmacklos.
    »Man kann niemanden per Gesetz dazu zwingen, die
Sklaven wie Weiße zu behandeln, und damit basta.« Dona Almas Ton duldete keinen
Widerspruch.
    Vitória zwang sich zur Ruhe. Ihre Mutter raubte
ihr den letzten Nerv. »Nein, und man kann die Schwarzen heute nicht mehr
zwingen, alle Weißen wie Herren zu behandeln. Außer natürlich ihre Dienstherren
...«
    »Du findest also, dass dieses freche Mädchen
sich solche Unverschämtheiten gegenüber deiner Mutter herausnehmen darf, einer
Senhora von Stand, nur weil sie nicht meine Sklavin ist?«
    »Mäe, Taís war nicht unverschämt, sie hat nur
die Anweisungen des Arztes befolgt. Sie hat Ihnen einen leichten Imbiss sowie
Ihre Medizin gebracht und hätte sich mit der gebotenen Höflichkeit zurückgezogen,
wenn Sie sich nicht aufgeführt hätten wie eine Furie und das Tablett auf den
Boden geworfen hätten – wobei ich mich natürlich sehr darüber freue, dass Sie
so plötzlich Ihre Energie wiedergewonnen haben.«
    »Ich bitte dich, Kind! Mir ist das Tablett aus
Versehen heruntergefallen, und dieses freche Mädchen rennt einfach davon,
anstatt unverzüglich den Schaden zu beseitigen. Du musst diese Person
verkaufen, ich meine, hinauswerfen.«
    Vitória hatte nichts dergleichen vor. Taís war
von allen Dienstboten die intelligenteste, fleißigste und freundlichste. Zudem
war sie kaum je aus der Fassung zu bringen – einer der Gründe, warum sie zu
Dona Almas Betreuung abgestellt worden war. Die anderen Angestellten hatten
Angst vor der bettlägerigen Senhora, die alle mit ihren sonderbaren Launen zur
Verzweiflung trieb. Hätte sich Taís wirklich eine Unverschämtheit gegenüber
Dona Alma herausgenommen, dann wäre Vitória sicher die Erste gewesen, die die
junge Frau auf die Straße gesetzt hätte. Aber Vitória wusste, wie sich der Fall
zugetragen hatte. Sie hatte das Gezeter ihrer Mutter gehört, und sie hatte
gesehen, wie Taís tränenüberströmt aus dem Zimmer gelaufen war.
    »Ich fürchte, wenn Sie noch länger hier weilen,
brauche ich niemandem zu kündigen – die Dienstboten laufen mir dann schon von
alleine fort.«
    Dona Alma sah ihre Tochter entsetzt an. Aber
jetzt, da sie einmal angefangen hatte, ihrem Unmut Luft zu machen, war Vitória
nicht mehr zu stoppen. »Mit Verlaub, Mamãe, Sie sind hier zu Gast, und es wäre
für alle im Haus, mich selber eingeschlossen, erträglicher, wenn Sie sich auch
benehmen würden wie eine Senhora von Stand.«
    »Vitória! Ich bin deine Mutter, nicht dein Gast!
Es ist deine Pflicht, deinen Eltern in einer schwierigen Lage beizustehen.«
    »Da
sind wir ausnahmsweise einer Meinung. Ich habe Ihnen schon mehrfach angeboten,
Ihnen Geld und Personal in ausreichender Menge zu geben, um sich auf Boavista
ein komfortables Leben einrichten zu können. Ich verstehe nicht, warum Sie
dieses Angebot ablehnen, als sei es sittenwidrig.«
    »Es ist sittenwidrig. Du hast doch mit eigenen
Augen gesehen, wie weit es im Vale do Paraíba gekommen ist. Willst du, dass
dein Vater über die Felder reitet und von den verwilderten Kaffeesträuchern an
seinen Untergang erinnert wird? Willst du, dass wir in Valen9a behandelt werden
wie verarmte Bauern, bestenfalls mitleidig belächelt von dreisten Negern, die
uns früher einmal gehört haben? Wie kannst du nur so unsensibel sein und uns
dorthin zurückschicken wollen?«
    Ihre Mutter hatte, leider, Recht. Als Vitória
kurz nach der Abolition nach Boavista gefahren war, in der irrigen Annahme,
dort Ablenkung von ihrer deprimierenden Ehe zu finden, war sie zutiefst
erschrocken. Auf den Feldern wucherte das Unkraut zwischen den Kaffeesträuchern,
die ehemals prachtvollen Herrenhäuser zeigten bereits erste Anzeichen des
Verfalls, die Palmenalleen waren wegen der herabgefallenen Blätter zum Teil
unpassierbar. Und obwohl das Tal mit seinen sanften Hügeln, seiner üppigen
Vegetation und den malerischen Bächen und Flüssen weiterhin von enormer
landschaftlicher Schönheit war, hatte über allem der Hauch

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