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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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längeren Besuch in Rio weilten, nur um nicht zugeben
zu müssen, dass es die schiere existenzielle Not war, die diesen »Besuch« nötig
machte. Je öfter er diese Geschichte erzählte, desto mehr schien er selber
daran zu glauben. Ja, auf Boavista stünde alles zum Besten, und, danke der
Nachfrage, Dona Alma und ihm ginge es ausgezeichnet.
    Niemand glaubte Eduardo da Silva. Schon seine Erscheinung
widersetzte sich jeder Bemühung, den Anschein aufrechtzuerhalten. Seine Haut
war fahl, sein Haar und sein Bart waren in kurzer Zeit ganz weiß geworden,
unter seinen Augen hatten sich Tränensäcke gebildet. Er wirkte, als sei er um
mindestens zwanzig Zentimeter geschrumpft und um zehn Jahre gealtert, gebückt,
wie er ging, und dünn, wie er geworden war. Aus dem einst stattlichen und
Furcht einflößenden Fazendeiro war ein alter Mann geworden, eine kraftlose,
Mitleid erregende Figur. Seine polternde Art hatte er beibehalten, doch nun lösten
seine lautstark vorgetragenen Reden nicht mehr Respekt aus, sondern nur noch
vielsagende Blicke.
    »Wir sind und bleiben eine Monarchie. In einer
brasilianischen Republik, mein lieber Junge«, so wandte er sich gern an León, »werden
weder du noch ich noch meine Enkel je leben.«
    León wusste, dass es sich anders verhielt, und
Vitória wusste es ebenfalls. Mit der Abschaffung der Sklaverei hatte Prinzessin
Isabel der Monarchie ein Grab geschaufelt, denn die Sklaverei war immer einer
der Hauptgründe gewesen, dem Kaiser die Treue zu halten. Und dank des Ehemannes
der Thronfolgerin, des unbeliebten Conde d'Eu, waren sogar eingefleischte
Konservative ins republikanische Lager übergelaufen. Wer wollte schon von einem
Franzosen regiert werden? Es war nur eine Frage der Zeit, bis in Brasilien die
Republik ausgerufen werden würde, und Vitória war davon überzeugt, dass es eher
früher als später passieren würde. Dennoch widersprach sie ihrem Vater nicht.
Er hörte ja doch nicht auf sie, und auf keinen Fall würde sie ihn damit quälen,
dass sie in der Frage der Abolition auch schon Recht behalten hatte. Das war
eines der Themen, über die in Gegenwart Eduardo da Silvas nicht gesprochen
wurde. Joana hatte einmal, als sie und Pedro zum Essen gekommen waren, den
Fehler begangen, Vitória für ihre Weitsicht zu loben. »Vita, wenn du nicht
schlauer als wir alle zusammen gewesen wärest, dann sähe es jetzt ziemlich düster
aus für uns.« Vitória hatte sich darüber gefreut, dass ihre Geschäftstüchtigkeit
endlich einmal gewürdigt wurde, doch zu Joana hatte sie gesagt: »Ach, an meiner
Stelle und in meiner Situation hätte jeder so gehandelt – und womöglich
noch viel mehr Geld verdient.« Wahrscheinlich hatte Pedro unterdessen seiner
Frau durch einen heimlichen Tritt auf den Fuß zu verstehen gegeben, dass sie
den Mund halten solle, jedenfalls war damit das Thema ein für alle Mal erledigt
gewesen.
    Dona Alma lehnte sich schwer atmend in die
Kissen und schloss die Augen, als sei sie zu schwach, um das Gespräch mit ihrer
Tochter fortführen zu können. Vitória sah sich in dem Raum um, den sie vor
nicht einmal zwei Jahren mit so viel Liebe zum Detail eingerichtet hatte und
der ihr jetzt Unbehagen bereitete. Die rosé-weiß gestreiften Tapeten, die weißen
Spitzenkissen auf dem Bett, die rosafarbenen Gardinen, die zierlichen Möbel aus
dem rötlichen Brasilholz – all das war ihr einmal zart, feminin und freundlich
erschienen. Doch in Zukunft würde sie es wohl immer mit Dona Alma und ihren
Launen assoziieren.
    Ein Kratzen an der Tür ließ Dona Alma von ihrem
vorgetäuschten Erschöpfungszustand genesen. »Und dieser schreckliche Köter! Für
ihn ist Platz in diesem Haus, aber nicht für deine Eltern.«
    »Sábado geht ja
auch freundlich mit den Schwarzen um.«
    »Ja, so weit ist es gekommen, dass Hunde und
Neger jetzt schon mehr zählen als die eigene Familie.«
    »Sie wollen mich falsch verstehen, nicht wahr, Mãe?
Sie suchen förmlich nach Streit. Aber Ihre Provokationen können Sie woanders
anbringen. Ich habe heute noch etwas Besseres vor, als mich beleidigen zu
lassen. Einen schönen Tag noch.«
    Als Vitória das Zimmer verließ, musste sie sich
beherrschen, nicht die Tür hinter sich zuzuknallen. Doch auf dem Flur begrüßte
Sábado sie stürmisch, was ihre Laune augenblicklich hob.
    »Ja, ich weiß, mein Kleiner, es ist Zeit für
unseren Spaziergang.«
    Der »Kleine« reichte Vitória bis zur Taille. Sábado
hatte sich zu einem wunderschönen Tier entwickelt, das,

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