Ana Veloso
sitzt.«
Dabei sah er Aaron verächtlich an. »Obwohl ich der lieben Vitória einen
besseren Geschmack zugetraut hätte.«
»Es heißt, du seist ein guter Arzt, aber ich
bezweifle das ganz stark. Wenn du ein gemeines Gerücht, das Neidhälse in die
Welt gesetzt haben, nicht von der Wahrheit unterscheiden kannst, dann bist du
wahrscheinlich ebenso wenig in der Lage, eine simulierende Senhora von einem
echten Kranken zu unterscheiden.« Aaron hatte sich fest vorgenommen, sich nicht
von João Henrique provozieren zu lassen. Aber dessen Boshaftigkeit wurde immer
schlimmer und Aarons Geduld immer kürzer. Seine Zeit war zu kostbar, als dass
er sie mit bornierten Aufschneidern hätte verschwenden können. »Ich erkenne
Simulanten sofort. Aber ich schenke ihnen Gehör, wie ich es auch mit Gerüchten
tue. Meistens sind sie überaus aufschlussreich – und amüsant.«
»Na, wenn du sonst schon nichts zu lachen hast
...«
»Es reicht!« Pedro schlug mit der flachen Hand
auf den Tisch, der bedenklich wackelte. »Zwei studierte Männer, und führen sich
auf wie aufgeplusterte Kampfhähne, die sich im Staub vor einer Sklavenhütte
behacken !«
Aaron und João Henrique sahen sich sprachlos an,
eins in der Fassungslosigkeit über die Reaktion ihres Freundes. Beide kannten
Pedro als einen ausgeglichenen, freundlichen Zeitgenossen, einen Mann der
leisen Töne. Dass er laut seinen Unmut äußerte, zumal an einem öffentlichen
Ort, an dem Bekannte ihn hätten hören können, war niemals zuvor vorgekommen.
Wenn Pedro sich ärgerte, dann sagte er es in bestimmtem, aber ruhigem Ton. War
Pedro verletzt oder traurig, dann machte er das mit sich selber aus, ohne gegen
den Verursacher zu intrigieren oder zu wüten. Und stritten sich andere in
seiner Gegenwart, so versuchte Pedro normalerweise zu schlichten, zu
beschwichtigen, Verständnis für beide Seiten aufzubringen. Sein Harmoniebedürfnis
empfanden sowohl Aaron als auch João Henrique manchmal als übertrieben, und
seine Moralvorstellungen hielten beide für ein wenig altmodisch, doch gerade
sie machten Pedros besonderen Zauber aus. Er war grundehrlich, durch und durch
anständig, charakterfest, konservativ nicht aus politischer Überzeugung,
sondern aus seinem Wesen heraus. Dass Pedro nun ausgerechnet bei einem kleinen
Wortgefecht zwischen seinen Freunden, von deren Abneigung gegeneinander er nun
wahrhaftig lange genug wusste, so aus der Haut fuhr, machte beide betroffen.
João Henrique fing sich als Erster. »Vielleicht
solltest du doch über einen Wechsel des Arbeitsplatzes nachdenken, mein Guter.
Das Klima dort scheint dir aufs Gemüt zu schlagen. Außerdem gebe ich dir
hiermit den ärztlichen Rat, nach der Limonade einen Whiskey zu trinken.«
»Das ist der erste vernünftige Satz, den ich
heute von diesem Quacksalber höre«, sagte Aaron. »Ich nehme auch ein Glas.
Schließt du dich uns an, João Henrique?«
Die nächste Stunde verbrachten sie mit
belanglosem Geplauder und harmlosen Frotzeleien, in der Sorge um die Gemütsverfassung
ihres Freundes zu einem oberflächlichen Frieden gezwungen. Beim vierten
Whiskey, als die drei bereits anfingen, sich schmutzige Witze zu erzählen,
wurden sie auf einen kleinen Aufstand am Eingang des Lokals aufmerksam. Dann hörten
sie ein wütendes Bellen und sahen, wie der erschrockene Oberkellner zurückwich
und beinahe das Gleichgewicht verlor. Gläser klirrten, eine Frau schrie, ein
Stuhl fiel um. Mit ein paar großen Sätzen war Sábado bei ihnen, an der Leine
einen rostigen Haken hinter sich herschleifend. Der Hund war außer sich vor
Begeisterung, dass er Aaron entdeckt hatte. Er sprang an ihm hoch, blieb mit
den Vorderpfoten auf Aarons Knien vor ihm stehen und leckte ihm das Gesicht.
»0 nein!« Aaron wandte das Gesicht ab. Es war
schon schlimm genug, dass diese Kreatur ihn mit ihrer Zuneigung verfolgte, aber
dass sie auch noch so bestialisch aus dem Maul roch, war zu viel des Guten. »Sitz!
Platz!«
Der Hund hörte nicht auf ihn. João Henrique
verfolgte feixend die Szene, während Pedro die Leine nahm und versuchte, den
Hund von Aaron herunterzuziehen. Der Oberkellner war mittlerweile an ihrem
Tisch angelangt und klärte sie mit der größtmöglichen Würde, die ihm nach der
Attacke durch dieses Monstrum noch geblieben war, darüber auf, dass Hunde in
diesem Lokal nicht geduldet wurden.
»Das ist kein Hund«, sagte João Henrique, leicht
lallend, »das ist ein Kalb.«
»Bitte, Senhor! Selbstverständlich sind auch Kälber
hier
Weitere Kostenlose Bücher