Ana Veloso
geschrieben. Vielleicht wollte sie sein Kind, aber
ihn wollte sie ganz sicher nicht.
Nun, sie würde ihn wollen müssen. Wenn er auf
Boavista aufkreuzte, voller Reue, voller Aufrichtigkeit und voller Liebe, würde
sie ihn wohl kaum abweisen, ihn, den Vater ihres Kindes. Dazu hätte sie kein
Recht – und wenn er erst einmal eine Weile bei ihr wäre, würde es ihm schon
gelingen, sie wieder von sich einzunehmen. Und gab es überhaupt einen anderen
Weg? Er wurde Vater! Um nichts in der Welt wollte er dieses einzigartige
Erlebnis verpassen, hier in der Fremde nur in Joanas Briefen davon lesen. Er wollte
miterleben, wie sich Vitas Körper rundete, wollte ihren Bauch streicheln,
wollte ihr jeden erdenklichen Komfort verschaffen, wollte ihr vor und nach der
Geburt beistehen, wollte das Neugeborene auf den Arm nehmen und die junge
Mutter vergöttern. Ja, gleich morgen würde er sich nach dem nächsten Schiff
erkundigen, das auf dem schnellsten Wege nach Südamerika fuhr. Zur Not würde er
auch im Frachtraum mitreisen, solange er nur möglichst bald in Rio wäre. Heute
war der 14. November, vor Mitte Dezember war also mit seiner Ankunft in
Brasilien nicht zu rechnen. Und dann wäre Vita bereits im sechsten Monat – über
den Zeitpunkt der Zeugung gab es ja nicht den geringsten Zweifel. Wie hübsch
sie aussehen würde, seine Sinhazinha – oh, er konnte es kaum erwarten, sie
wieder in die Arme zu schließen!
Was scherte ihn schon sein langweiliger
Diplomatenposten in England? Er, León, gehörte ohnehin nach Brasilien, jetzt
mehr denn je. Sein Platz war an der Seite seines Kindes und seiner Frau. Das
heißt – war Vita überhaupt noch seine Frau? Wie lange dauerte es, bis eine
Scheidung rechtskräftig war? Und wenn schon! Dann würden sie eben ein zweites
Mal heiraten. Auf Knien würde er sie um Verzeihung bitten, ihr seine Liebe
gestehen, die in den vergangenen Jahren nichts von ihrer ursprünglichen
Intensität eingebüßt hatte. Alles, alles würde er wieder gutmachen.
Leicht schwankend erhob sich León aus seinem
Sessel. Er schob die glimmenden Scheite im Kamin auseinander, löschte das Licht
und taumelte hinauf in sein Schlafzimmer. Im Hausmantel warf er sich aufs Bett
und fiel auf der Stelle in einen leichten Schlaf, der ihm beunruhigende Träume
von Kaffeesträuchern, Macumba-Zauber und Sklavenhütten bescherte.
»Die Hitze bringt mich um!« Vitória wischte sich
den Schweiß von der Stirn, um sich dann wieder ihrer Stickarbeit zu widmen. »Ja,
es ist wirklich außergewöhnlich warm. Soll ich Ines bitten, dir ein kühles
Eukalyptusbad einzulassen?«
»Himmel, Joana! Wenn ich ein Bad wollte, könnte
ich Ines auch selber darum bitten. Warum behandelst du mich immerzu wie eine
Kranke? Mir fehlt nichts.«
»Verzeih.« Joana griff mit beleidigter Miene
nach dem Häkelkorb, nahm das begonnene Mützchen heraus und begann es mit einer
rosafarbenen Bordüre zu umhäkeln.
»Wenn das Kind ein Junge wird, können wir ihm
unmöglich diese Mütze aufsetzen.«
»Vita, bitte! Es macht mir nichts aus, alle
Babysachen in einer Mädchen- und in einer Jungenversion anzufertigen. Was nicht
gebraucht wird, verschenken wir eben. Es ist ja nicht so, als hätten wir hier
abends sehr viel mehr andere Ablenkung...«
»Wie wahr. Ehrlich gesagt kommt mir das
Handarbeiten allmählich zu den Ohren heraus.«
»Dann lies mir eben etwas vor. Oder spiel etwas
Hübsches auf dem Piano.«
»Das habe ich ebenso satt. Ach, Joana, lass uns
doch einfach einmal nach Vassouras fahren, ein paar unnütze Einkäufe machen,
ein Theaterstück ansehen, im Restaurant essen und im Hotel Imperial übernachten.
Ich halte das hier nicht länger aus.«
»Kommt nicht in Frage. Nicht in deinem Zustand.
Erstens wäre es unschicklich, wenn du dich so in der Öffentlichkeit zeigen würdest,
und zweitens würde dir die holprige Strecke nach Vassouras gar nicht gut
bekommen.«
»Ich glaube, da täuschst du dich. Je mehr ich
mich bewege, desto friedlicher ist das Kleine. Ich glaube, es wird gerne gerüttelt
und geschüttelt.« Vitória legte entnervt ihren Stickrahmen beiseite, stand auf
und drehte sich im Kreis. »Und wie gern ich wieder einmal tanzen würde! Ich
kann es kaum erwarten, wieder zurück nach Rio zu gehen. Hier im Vale ist es
wirklich zu eintönig.«
»Nun ja, ein paar Monate wirst du dich noch
gedulden müssen. Und überleg doch mal, Vita: Jetzt, im Sommer, ist es in Rio so
unerträglich heiß, dass es dir dort auch nicht gefallen würde. Zudem sind
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