Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
Vom Netzwerk:
Warum hatte er sich von seiner
Eifersucht zu derart unbeherrschten, unverzeihlichen Handlungen Vita gegenüber
hinreißen lassen, dass sie ihn einfach hassen musste?
    Erst wenige Tage vor der Ankunft in Rio schlug
Leóns Stimmung um. Er wurde von einer Euphorie erfasst, wie er sie seit Jahren
nicht mehr gefühlt hatte. Mit weit geöffnetem Kragen und geblähtem Hemd stand
er an der Reling, genoss die warme Brise, grüßte die Matrosen schulterklopfend,
gab sich leutselig und aufgeräumt. Die Mannschaft beobachtete die Veränderung,
die mit dem sonderlichen Passagier vor sich gegangen war, mit derselben zurückhaltenden
Skepsis wie der Kapitän, nahm aber gern die großzügigen Trinkgelder des Mister
Castro an. Dennoch waren sie froh, als sie sich sein permanentes Drängen zu
mehr Eile nicht mehr anhören mussten und er endlich von Bord ging.
    Für die wilde Schönheit Rios und das fröhliche
Gewimmel am Hafen hatte León keinen Sinn. Er verlor keine Zeit damit, sich nach
einem Kofferträger umzusehen, sondern hastete mit seinem leichten Gepäck über
die Gangway, nahm die erstbeste Droschke und
    versprach dem Kutscher das doppelte Fahrgeld,
wenn er ihn schnell wie der Teufel nach Flamengo und anschließend zum
    Bahnhof brächte. Der Kutscher tat sein Bestes,
was darin gipfelte, dass das Gefährt sich in einer Kurve so bedenklich zur
Seite neigte, dass es beinahe umgekippt wäre.
    »Warten Sie hier. Wagen Sie nicht, sich von der
Stelle zu rühren. Ich bin gleich wieder zurück, dann geht es sofort weiter zum
Bahnhof.«
    León nahm die drei Stufen am Eingang zu Aarons
Wohnung in einem einzigen Satz, zog kräftig an der Türglocke und stürmte, als
ihm eine Schwarze vorsichtig die Tür öffnete, in die Wohnung. Er platzte in
Aarons Arbeitszimmer, in dem sich neben Aaron auch ein Klient befand, und hielt
sich nicht mit Entschuldigungen auf. »Aaron, ist die Scheidung schon durch?«
    »Was ... ?«
    »Sag schon, schnell!«
    »Nein, ist sie nicht. Es gab ein paar Verzö...«
    »Gott sei Dank! Ich ziehe hiermit alle
Vollmachten zurück. Ich will diese Scheidung nicht. Für schriftliche
Anweisungen habe ich jetzt keine Zeit. Aber dieser ehrenwerte Senhor hier«,
dabei deutete er auf den verblüfften Klienten, »ist mein Zeuge. Adeus!« León
verließ die Kanzlei so blitzartig, wie er hereingeschneit war.
    Am Bahnhof erreichte León knapp den Zug nach
Vassouras, verfolgt von den Verwünschungen des Kutschers, der ein Pfund
Sterling für seine Dienste erhalten hatte und nichts damit anzufangen wusste.
León ließ das Gezeter kalt. Er lief durch das Bahnhofsgebäude und machte nur
kurz an dem Fahrplanaushang Halt. Wie gut, dass die vielfältigen Umwälzungen
der letzten Jahre wenigstens an den Fahrplänen spurlos vorbeigegangen waren. Da
stand es, 11.30 Uhr, genau wie er es in Erinnerung behalten hatte. Gleis zwei,
ja, auch daran hatte sich nichts geändert. Die Bahnhofsuhr zeigte 11.27 Uhr an.
    Erst im Zug gönnte León sich, notgedrungen, eine
Verschnaupause. Im Speisewagen ließ er sich einen kleinen Imbiss servieren, den
er kaum anrührte. Zurück in seinem Abteil, kramte er in seinem Gepäck nach dem
Necessaire – wenn er schon keine Dusche nehmen konnte, mussten Kamm und Kölnischwasser
fürs Erste reichen. Seine Nervosität nahm mit jedem Kilometer, den sie sich
Vassouras näherten, zu. Und wenn seine spontane Entscheidung, nach Brasilien
zurückzukehren, nun gar nicht so klug gewesen war? Hätte er vielleicht vorab
einen Brief schreiben sollen, um sich anzukündigen, alles zu erklären, sich zu
entschuldigen und Vita die Gelegenheit zu geben, sich mit dem Gedanken an sein
Kommen anzufreunden? Nachher reagierte sie noch mit einem solchen Schrecken auf
sein plötzliches Erscheinen, dass das ungeborene Kind irgendeinen Schaden
davontrug. Ach, Unsinn! So zart besaitet war Vita nie gewesen, und sie würde es
auch als werdende Mutter nicht sein. Da war es schon wahrscheinlicher, dass sie
ihm kaltblütig die Tür vor der Nase zuschlug, ganz so wie bei ihrer allerersten
Begegnung. Ein leichtes Lächeln legte sich auf Leóns Lippen, und er gab sich so
lange der Erinnerung an seinen ersten Aufenthalt auf Boavista hin, bis der Zug
kreischend zum Stehen kam und ihn aus seinen Gedanken riss. Als erster Fahrgast
hatte León den Zug verlassen und eilte zu den wartenden Droschken am
Bahnhofsvorplatz.
    Doch seine Eile stieß auf Unverständnis.
    »Gibt es in diesem gottverlassenen Kaff denn
nicht eine Mietkutsche, die mich nach Boavista

Weitere Kostenlose Bücher