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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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bringt?!«
    »Doch, Senhor, aber nicht um diese Uhrzeit. Bald
wird es dunkel, und den langen Weg zurück will am Abend niemand mehr machen.
Wir haben aber hier ein sehr vornehmes Hotel, dort wird man Ihnen ...«
    León wendete sich ab und ließ den
auskunftfreudigen Kutscher ohne ein Wort des Dankes einfach stehen. Nach
wenigen Metern kehrte er wieder zu dem Mann zurück.
    »Was, sagten Sie, kostet Ihr Pferd?«
    Der Kutscher glotzte León ratlos an.
    »Halten Sie siebzigtausend Reis für einen
angemessenen Preis?«
    León kramte in seiner Brieftasche nach ein paar
Banknoten und drückte sie dem verdutzten Mann in die Hand. »Das ist englisches
Geld. Es ist ungefähr doppelt so viel wert wie Ihr Gaul. Und wenn Ihnen daran
noch Zweifel kommen sollten, wissen Sie ja, wo ich zu finden bin. Bei meiner
Frau, Vitória Castro da Silva, auf Boavista.« Der Kutscher war sprachlos. Erst
am Abend, beim Essen mit seiner Familie, sprudelten die Worte nur so aus ihm
heraus, und noch Wochen später berichtete er allen Freunden und Bekannten von
seiner unheimlichen Begegnung mit dem großen León Castro.
    Vitória fühlte sich hässlich. Joana, Luiza und
die anderen mochten ihr noch so viele Komplimente für ihr strahlendes Aussehen
machen – sie selber empfand ihren Leib als unförmig, ihre Wangen als hamsterähnlich
und ihre Gliedmaßen als drall. Sogar ihre Finger wurden jetzt schon dicker,
kaum ein Ring passte ihr noch. Und erst ihre schreckliche Garderobe! Hatte sie
bisher alle Kleider in den Nähten ausgelassen, so führte jetzt einfach kein Weg
mehr an Umstandskleidern vorbei. Wie ein pummeliges Muttchen sah sie darin aus,
trotz der edlen Stoffe und der schönen Verarbeitung. »Du spinnst«, hatte Joana
kürzlich auf ihre Klagen erwidert. »Du siehst fabelhaft aus, so gut wie schon
lange nicht mehr. Dein Teint ist rosig, deine Haut glatt, und die zusätzlichen
Pfunde stehen dir vorzüglich. Weißt du, Vita, niemand hat es dir je so direkt
sagen wollen, aber in Rio hast du zum Schluss alle erschreckt, so dürr und fad,
wie du aussahst. Und jetzt schau dich an – die reinste Augenweide!«
    Natürlich schenkte Vitória den Worten Joanas
keinen Glauben, und denen der Schwarzen noch viel weniger. Wahrscheinlich
wollten alle sie nur schonen. Die Einzige, die die Wahrheit aussprach, war
Florinda. »Du hast ja ganz schön zugelegt, Vita«, hatte sie bei ihrem letzten
Besuch gesagt und dabei nicht den Eindruck gemacht, als meinte sie es als
Kompliment. »Florinda ist nur neidisch«, hatte Joana abgewiegelt. »Weil sie
selber so aus der Fasson geraten ist, registriert sie jedes Gramm mehr bei
anderen Frauen mit der Präzision einer Papierwaage, und es erfüllt sie mit
Genugtuung. Gib doch nichts auf ihre Bemerkungen. Diese dumme Gans – am
liebsten wäre mir ohnehin, wenn sie und ihr öder Klavierlehrer gar nicht mehr
zu Besuch kämen.«
    Insgeheim teilte Vitória Joanas Einschätzung des
Paares. Sie waren provinzielle, engstirnige Langweiler. Aber die Besuche von
Florinda und ihrem Mann gehörten zu den wenigen Ablenkungen vom täglichen
Einerlei, und freiwillig würde sie bestimmt nicht darauf verzichten. Ihr Leben
auf Boavista war so einsam und eintönig, dass ihnen jede Zerstreuung recht war.
Fast bedauerte Vitória es, dass der Kontakt zu Eufrásia abgerissen war, die
alte Freundin hätte sicher ein bisschen Schwung ins Haus gebracht oder
wenigstens für anregenden Gesprächsstoff gesorgt. Stattdessen lästerten sie und
Joana nun nächtelang über Edmundo, der ihnen schon ein paarmal seine Aufwartung
gemacht hatte und der auch mit zunehmendem Alter nichts von seiner jugendlichen
Schüchternheit eingebüßt hatte, geschweige denn von seinen unschönen
Attributen. »Er hat angetrocknete Spucke in den Mundwinkeln kleben«, hatte
Joana nach einem seiner Besuche angewidert beobachtet, woraufhin Vitória laut
herauslachte. »Ja, und mit einem solchen ... Tölpel wollten meine Eltern mich
verheiraten!« Joana hatte sie entgeistert angesehen. »Aber warum denn bloß?« – »Ganz
einfach, er hatte Geld. Tja, das hat er nun auch nicht mehr.« Zu Edmundos
Ehrenrettung musste Vitória immerhin einräumen, dass er das Beste aus seiner
Lage machte. Er jammerte nicht, wie Eufrásia, und er griff nicht, wie Rogério,
zu unlauteren Maßnahmen. Er hielt die elterliche Fazenda über Wasser, indem er
auf Milchwirtschaft gesetzt hatte – nicht gerade ein ruhmreiches Geschäft, aber
ein halbwegs einträgliches.
    Mit einigen der neuen Nachbarn

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