Ana Veloso
Morgen fahre ich mit Sílvia nach Valença,
dort kann ich ihn aufgeben.«
»Ja, und auf dem Weg dorthin kannst du ja in
Boavista vorbeischauen und Dona Alma die tieftraurige Geschichte auftischen,
die dich zu einer Reise nach Rio zwingt.«
»Aber vorher musst du mit meiner Mutter reden.
Am besten noch heute – wo du schon hier bist.«
Vitória graute es bei der Vorstellung, Dona
Isabel gegenübertreten zu müssen. Sie war schon unerträglich, wenn es ihr gut
ging. Wie wäre es erst, wenn sie sich schlecht fühlte? Aber sie würde kaum
darum herumkommen, wollte sie sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, mit
León auszugehen.
»Kannst du sie schonend darauf vorbereiten, dass
ich mit ihr sprechen möchte?«
»Aber ja. Warte einen Augenblick, ich rede mit
ihr, und dann rufe ich dich.« Eufrásia ging hinauf. Wenig später kam Sílvia
herunter. Offenbar hatte Eufrásia die Sklavin aus dem Zimmer geschickt. Auf dem
Arm trug Sílvia ein Kleid, das Vitória bekannt vorkam. Wahrscheinlich hatte
Dona Isabel es ihrer Sklavin geschenkt. »Sinhá Vitória, wie schön, dass Sie mal
wieder zu Besuch sind!«
»Ja, Sílvia, ich finde es auch schön. Auch wenn die
Umstände nicht gerade Anlass zur Freude geben ...«
»Jesus Maria, wem sagen Sie das? Sinhá Dona
Isabel ist ganz krank vor Sorge, Sinhá Eufrásia ist vor Kummer kaum
wiederzuerkennen, und die Herren, tja, die sieht man hier kaum noch. Was für
ein schreckliches Unglück!«
Sílvias schadenfroher Gesichtsausdruck strafte
ihre Worte Lügen. Sie sah nicht so aus, als nähme sie sich die Lage allzu sehr
zu Herzen. Zwar musste sie jetzt mehr tun als zuvor, schließlich war sie alles
an Personal, was den Soares geblieben war. Doch zugleich schien ihr das Mehr an
Verantwortung – und an Bedeutung – gut zu gefallen. Ausgerechnet sie, die
Bucklige, war nicht verkauft worden. Sie war sogar zur Zofe von Dona Isabel
aufgestiegen! Zu einer Zofe, die auch kochen, nähen und putzen musste, aber
doch zu einer echten Zofe, die Zugang zum Zimmer der Herrin und zu allen persönlichen
Angelegenheiten der Familie hatte.
Vitória war unangenehm berührt von Sílvias
Mienenspiel.
»Und wie furchtbar es hier aussieht! Du solltest
dich wirklich mehr um den Haushalt und weniger um Dona Isabels Garderobe kümmern,
für die sie zurzeit ohnehin wenig Verwendung hat.« Sílvia fuhr zusammen. »Aber
Sinhá, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht vor lauter Arbeit. Und Dona Isabel
nimmt mich den ganzen Tag in Beschlag – ich denke, dass ihr seelischer Beistand
jetzt wichtiger ist als polierte Möbel.«
»Ja, das ist er ganz sicher. Aber davon versteht
Padre Paulo immer noch mehr als du. Ich sehe ihn morgen, dann schicke ich ihn
euch vorbei. Und du wirst ja bestimmt auch die eine oder andere Sünde zu
beichten haben, nicht wahr?«
Sílvia schluckte, verkniff sich aber eine
Antwort. Mit einem angedeuteten Knicks entließ sie sich so schnell sie konnte
aus Vitórias strenger Musterung. Vitória wunderte sich. Eufrásia war doch nicht
auf den Mund gefallen. Und sie hatte immer eine etwas herrische Ader gehabt.
Warum ließ sie sich jetzt von einer Sklavin auf der Nase herumtanzen? Darüber
musste sie, bevor sie wieder nach Boavista ritt, noch mit Eufrásia reden.
»Vita, komm hoch!«, hörte sie da die Stimme
ihrer Freundin.
Als Vitória die Treppe heraufkam, raunte ihr
Eufrásia, die sich über das Geländer gelehnt hatte, zu: »Mach es kurz. Sie ist
nicht gerade bester Laune.«
Aber das Gespräch mit Dona Isabel gestaltete
sich besser als erwartet. Vitória zeigte sich von ihrer freundlichsten Seite,
ohne sich ihr Mitleid und ihren Schrecken über die Veränderungen in Dona
Isabels Gesicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Dona Isabel schenkte ihrer
Geschichte Glauben und erlaubte Eufrásia, mit nach Rio zu reisen. Die erste Hürde
war genommen.
Als Vitória sich verabschiedete, erteilte sie
Eufrásia noch allerlei Ratschläge, wie sie mit Sílvia umzugehen habe und was
sie tun müsse, um sich selbst und ihre Mutter wieder auf andere Gedanken zu
bringen. »Jätet einfach mal selber Unkraut in eurem Gemüsebeet. Dann fühlt ihr
euch wieder lebendig.« Eufrásia hatte sie nur verständnislos angeschaut. Die
Verwunderung in ihrem Blick war auch dann noch nicht verschwunden, als Vitória
sich, überhaupt nicht damenhaft, auf ihr Pferd schwang und im Galopp davonritt.
Hinter ihr wirbelte Staub auf. Seit Wochen war
kein Regen gefallen. Vitória nahm einen Umweg, der sie durch ein
Weitere Kostenlose Bücher