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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Wäldchen führte
und bei dem sie ein Stück am Fluss entlangreiten konnte. Sie brauchte Luft und
Bewegung, um die erdrückende Stimmung auf Florença, die auch von ihr Besitz zu
ergreifen drohte, abzuschütteln. Und sie brauchte Zeit für sich, um über den
Brief an León nachdenken zu können. Hatte sie übertrieben? Würde er sie nicht für
eine alberne Gans halten? Fieberte er ihrem Treffen so entgegen wie sie? Oder
war sie für ihn nur eine von vielen Begleiterinnen, die in Frage gekommen wären?
Wie sollte sie sich jemals Klarheit verschaffen, wenn sie nicht selbst nach Rio
fuhr? Ihren Bruder konnte sie ja schlecht fragen. Pedro würde sich über ihre
Gefühle lustig machen, außerdem würde es ihm wahrscheinlich gar nicht passen,
dass seine kleine Schwester sich mit einem Mann wie León einließ.
    Und angenommen, die Reise verlief nach Plan: Was
würden sie nach der Theaterpremiere unternehmen? Ob León sie und Eufrásia brav
zu Hause absetzte? Oder würde er ihr vorschlagen, noch ein spätes Souper zu
nehmen? Sollte sie annehmen? Wie würde sie Eufrásia loswerden? Den Umgang mit
den Söhnen der Fazendeiros, mit den Rogérios und Arnaldos und Edmundos des
Vale, war Vitória gewohnt, Verabredungen mit ihnen hatten sie noch nie nervös
gemacht. Aber bei der Aussicht auf das Treffen mit León kribbelte es sie von
Kopf bis Fuß. Was für ein himmlisches Gefühl! Würde sie es doch nur länger
auskosten können.
    An einer Biegung des Flusses hielt Vitória an.
Inzwischen war ihr von dem Ritt warm geworden. Sie stieg ab, rollte eine Decke
aus und breitete sie auf dem Teil der Wiese aus, der wie eine Halbinsel vom
Fluss umspült wurde. Darauf wollte sie sich ein paar Minuten ausruhen und in
Ruhe ihren Gedanken nachhängen – nach Boavista mit all den Aufgaben, die ihrer
harrten, käme sie schon noch früh genug. Sie legte sich auf die Decke, verschränkte
die Arme hinter dem Nacken und blickte in den Himmel, auf dem der Wind eine
Hand voll Federwolken vor sich hertrieb. Die Brise wehte ihr eine Haarsträhne
ins Gesicht, aber Vitória war so gedankenverloren, dass sie das leichte Kitzeln
auf ihrer Haut gar nicht wahrnahm. Ein dicker Käfer schwirrte mit lautem
Brummen um sie herum, aber es störte sie nicht. Nichts störte sie. Die Welt war
schön. Sie würde León treffen.
    Zwei Stunden später wachte Vitória auf. Ihr war
kalt. Es dämmerte bereits. Himmel, wie hatte sie nur einschlafen können! Ihre
Eltern machten sich bestimmt schon Sorgen. Und das zu Recht. Es war schon ungehörig
genug, allein so lange Ausritte zu unternehmen. Man musste sich nicht noch
irgendwelchen Strolchen auf dem Präsentierteller darbieten – hingestreckt auf
einer Wolldecke.
    Hoffentlich hatte niemand sie dort gesehen.
Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und ritt weiter. Wenn sie dem Pferd tüchtig
die Sporen gab, konnte sie es noch im Tageslicht schaffen.
    Als sie zu Hause ankam, war sie verschwitzt, aus
ihrem Zopf hatten sich wirre Strähnen gelöst, und ihr Kleid sah aus, als habe
sie die ganze Woche darin verbracht. Sie gab dem Stallknecht ihr Pferd,
quittierte seine und die neugierigen Blicke der anderen Sklaven, die sich um
diese Zeit noch auf dem Hof herumtrieben, mit patzigen Zurechtweisungen und
ging dann ins Haus, wo alle schon in heller Aufregung waren.
    Ihr Vater war im Begriff, seinen Ledermantel überzuziehen.
»Vita! Ich war gerade so weit, mich auf die Suche nach dir zu begeben. Was fällt
dir ein, so spät zurückzukommen?«
    »Papaizinho, seien Sie mir nicht böse. Ich war
bei Eufrásia, und wir haben uns festgeredet. Wir hatten uns so vieles zu erzählen.
Und darüber haben wir ganz die Zeit vergessen.«
    »Mein Gott, Vita! Du bist doch kein Kind mehr.
Denkst du nur an dich selbst? Was glaubst du wohl, wie deine Mutter sich jetzt
fühlt? Seit einer Stunde liegt sie im Bett und weint. Nur gut, dass sie dich so
nicht sehen kann. Bevor du zu ihr gehst und dich entschuldigst, solltest du
dich besser ein wenig frisch machen.«
    »Jawohl, Papai.« Vitória sah betreten auf den
Boden.
    »Und gibt es denn im Haus dieses Schufts
niemanden, der einen Gast darauf hinweisen kann, wie spät es ist? Oder haben
sie keine Uhren mehr auf Florença?«
    »Nein, Papai. Ich meine, doch.«
    »Was denn nun?«
    »Nein, es gibt keine Uhren mehr im Haus. Um
Florença ist es ziemlich schlimm bestellt, alle Wertsachen scheinen sie
verkauft zu haben. Aber man hat mir natürlich gesagt, dass ich bald aufbrechen
müsse. Ich habe es nur

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