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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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ignoriert, bis ich sah, dass die Sonne schon unterging.
Da bin ich sofort losgeritten wie der Teufel.«
    »Und diese Ausdrucksweise solltest du dir auch
abgewöhnen. Ehrlich, Vita, ich habe den Eindruck, du verwilderst hier.«
    »Tut mir Leid. So, ich gehe dann mal schnell zu
Mamãe.« Bevor ihr Vater ihr weitere Fragen stellen konnte, bei deren
Beantwortung sich Vitória womöglich verraten hätte, wollte sie ihm lieber aus
dem Weg gehen.
    Aber die Unterredung mit ihrer Mutter war noch
schwieriger. Sie sah Vitória an, als habe diese alle Todsünden auf einmal
begangen. Dona Alma schien zu glauben, dass Vitórias Tugend heute irreparablen
Schaden genommen hätte. Mit einer für sie ganz ungewöhnlichen Offenheit redete
sie ihrer Tochter, die sich ihr immer mehr entfremdete und über deren Gefühlsleben
sie so gut wie nichts wusste, ins Gewissen. So wie das Mädchen aussah, konnte
es einfach nur von einem Treffen mit einem Verehrer zurückgekommen sein.
    »Glaub mir, Vitória, die meisten Männer sind wie
Tiere. Sie nutzen deine romantische Stimmung aus, um ... unaussprechliche Dinge
zu tun. Du musst deinen Verehrern die kalte Schulter zeigen. Du darfst sie nie
glauben lassen, dass sie mit ihren Annäherungsversuchen auch nur den Hauch
einer Chance hätten. Und wenn sie dich unsittlich berühren wollen ... dann ...«
    »Aber Mãe, was unterstellen Sie mir? Ich war nur
bei Eufrásia. Meine Verehrer habe ich seit Wochen nicht gesehen. Es scheint
eher so zu sein, dass sie mir die kalte Schulter zeigen.«
    »Sei froh.« Nachdenklich sah sie ihre Tochter
an. Vitória war jetzt siebzehn, ein schwieriges Alter. Vor ihren Augen hatte
sie sich zu einer bildhübschen jungen Frau entwickelt, doch erst jetzt nahm
Dona Alma bewusst wahr, dass Vitória kein Kind mehr war. Wie konnte sie sie nur
vor dein Schicksal bewahren, das sie selber ereilt hatte – und so viele andere
unwissende Frauen? Aber noch deutlicher als gerade eben konnte sie kaum werden,
und auf gar keinen Fall würde sie ihren eigenen Fall als abschreckendes Beispiel
heranziehen. Dabei hatte sie noch Glück im Unglück gehabt. Als sie Eduardo
heiraten musste, war ihr das als das Ende ihres Lebens erschienen. Sie war
damals so alt gewesen, wie ihre Tochter es jetzt war. Heute fand Dona Alma,
dass sie es mit ihrem Mann kaum besser hätte treffen können. Eduardo hatte ihr
in Brasilien eine Zukunft geschaffen. Er trug sie auf Händen, er hatte ein Vermögen
gemacht und schließlich sogar noch den Titel eines Barons verliehen bekommen.
    »Also dann, Mamãe. Ich muss mich vor dem
Abendessen noch um allerlei kümmern. Essen Sie mit Papai und mir?«
    »Ja, ich werde in einer halben Stunde
herunterkommen.«
    »Gut. Dann bis nachher. Und ... machen Sie sich
keine unnötigen Gedanken. Meine Unschuld ist nicht in Gefahr.« Damit verließ
sie den Raum, froh, den wissenden Blicken ihrer Mutter zu entkommen.

V
    Es regnete. Seit Tagen schon rieselte es beständig
von einem hellgrauen Himmel herab, in dünnen Fäden, die mit bloßem Auge kaum
sichtbar waren, die aber in ihrer Beharrlichkeit alles durchnässten. Die
Feuchtigkeit drang durch alle Ritzen und Poren. Zudem war es für die Jahreszeit
entschieden zu kühl. Es war eine Strafe. Ohne die wärmende Kraft der Sonne
wurde nichts richtig trocken. Kleidung, Teppiche und sogar Betten waren immerzu
klamm, denn in den Schlafzimmern gab es keine Ofen oder Kamine. Um sich aufzuwärmen,
hielt sich Vitória stundenlang in der Küche auf, dem einzigen Ort auf Boavista,
der richtig warm und trocken war. Luiza freute sich über ihre Gesellschaft,
aber die anderen Küchensklaven fühlten sich unwohl unter den Blicken der
Sinhazinha. Sie ließ ihren ganzen Unmut an ihnen aus, obwohl sie ganz sicher
nicht die Ursache ihrer schlechten Stimmung waren.
    Vitória wusste, dass sie den Leuten gegenüber
ungerecht war, doch es kümmerte sie nicht. Sie selber wurde schließlich auch
nicht gerecht behandelt. Warum sollte es den Sklaven besser ergehen als ihr?
Sie war ja ebenfalls eine Gefangene, vom Vater zu Hausarrest verdammt und von
der Mutter schikaniert. Dazu dieser entsetzliche Regen, der ihr aufs Gemüt
schlug. An Spaziergänge oder Ausritte war bei dem Wetter gar nicht zu denken,
selbst wenn sie sich von Boavista hätte entfernen dürfen. Doch nachdem Eduardo
da Silva ihren Plan durchschaut und ihr die Reise nach Rio verboten hatte,
musste sie nun das Haus hüten. Vier Wochen lang keine Ausflüge, keine Feste,
keine Nachbarschaftsbesuche!

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