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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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folgend, um die Fazenda
herum errichtet worden waren und die hufeisenartige Grundform durchbrachen. Im
Laufe der Zeit hatte man so versucht, der wachsenden Größe von Fazenda und
Personal gerecht zu werden, aber trotz aller Anbauten und Nebengebäude
herrschte immer Platzmangel. Die Kapelle hob sich auf den ersten Blick durch
nichts von den anderen Häusern dieses wild wuchernden Konglomerats ab. Sie war
weiß gestrichen und hatte blau lackierte Türen und Fenster, die in perfekter
Symmetrie übereinander angeordnet waren wie bei einem zweigeschossigen Gebäude.
Ihre Grundfläche betrug kaum mehr als fünfzig Quadratmeter, aber sobald man sie
betrat, hatte man den Eindruck, in einer richtigen Kirche zu stehen. Sie
bestand aus nur einem einzigen großen Raum, der die Höhe von zwei Etagen
einnahm. Jeder, der die Kapelle zum ersten Mal aufsuchte, war sprachlos
angesichts der Pracht, die sich in ihrem Innern entfaltete und die das von außen
so schlichte Gebäude nicht erwarten ließ. Der Altar war mit barocken
Schnitzereien versehen, die, genau wie die Schmuckelemente an den Wänden,
vergoldet waren. Opulente Kandelaber, kostbare Heiligenfiguren in den Nischen,
ein Kronleuchter, der einem königlichen Ballsaal Ehre gemacht hätte, und
kunstvolle Deckenmalereien – die Ausstattung der Kapelle war einer Kathedrale würdig.
    An den Seiten befand sich, gleich vor den oberen
Fenstern, ein Balkon, dessen weiß lackiertes Geländer ebenfalls mit vergoldeten
Schnitzereien verziert war. Unterhalb dieses Balkons lag der Beichtstuhl, in
dessen Innerem man auf jeden Schmuck verzichtet hatte, wohl in der Annahme,
dass dies die Erinnerung an die Sünden begünstigte.
    »Padre, ich habe gesündigt.« Vitória kniete auf
der harten Holzbank, die Ellbogen stützte sie auf dem Bord unterhalb des
Fensterchens ab, hinter dem der Pfarrer saß. Ihre Hände hatte sie instinktiv
vor dem Gesicht verschränkt, obwohl sie wusste, dass ihr an diesem Ort
keinerlei Anonymität zugestanden wurde. Streng genommen hätten Vitória und
Padre Paulo sich auch im hell beleuchteten Salon zusammensetzen und sich unter
vier Augen über Vitórias Sorgen unterhalten können. Doch der Anschein musste
aufrechterhalten werden. Und vielleicht war das auch gar nicht so verkehrt. Vitória
bezweifelte, dass sie den Mut zu einer echten Beichte aufgebracht hätte, wenn
sie dem Pfarrer dabei direkt in die Augen hätte sehen müssen. Im Dämmerlicht
des kargen Beichtstuhls fiel es leichter, sich auf das Wesentliche zu
konzentrieren. Dennoch zögerte Vitória. Der Anfang war immer am schwierigsten.
    Ihr Beichtvater räusperte sich, um Vitória daran
zu erinnern, warum sie hier war.
    Sie schluckte kurz, dann sagte sie in einer
Stimme, die ihr selber fremd war: »Es fällt mir immer schwerer, Vater und
Mutter zu ehren.«
    »Ein Verstoß gegen das fünfte Gebot ist schlimm.«
Trotz seines Flüsterns konnte Vitória die Enttäuschung aus der Stimme des
Geistlichen heraushören.
    »Ich weiß. Aber warum gibt es kein Gebot, das
die Eltern dazu anhält, ihre Kinder zu ehren?«
    Nachdem der Anfang gemacht war, fiel ihr das
Sprechen leichter. »Wie soll ich eine Mutter lieben, die mich hintergeht? Sie
hat einfach ein Geschenk, von dem sie wusste, dass es für mich war, an sich
genommen. Als ich es einforderte, hat sie es verbrannt und mir gesagt, dass es
mir nur schaden würde. Es war ein kleiner Gedichtband, den mir ein Verehrer
mitgebracht hatte.«
    »Dona Alma wird wissen, was gut für dich ist.
Wahrscheinlich hat sie gut daran getan, das Buch zu vernichten.«
    Vitória zuckte zusammen. Dass der Pfarrer den
Namen ihrer Mutter ausgesprochen hatte, empfand sie als einen Verstoß gegen die
ungeschriebenen Gesetze des Beichtstuhls, die sie selber ja erst wenige Minuten
zuvor in Frage gestellt hatte. Konnte Padre Paulo nicht einfach so tun, als
handele es sich um eine anonyme Beichte? Aber gut. Sie riss sich zusammen und
fuhr fort.
    »Ja, und mein Vater weiß noch besser, was gut für
mich ist.« In Vitórias Stimme lag beißender Sarkasmus. »Und vor allem: Was gut
für ihn selber ist. Eine kurze Reise nach Rio, auf die ich mich sehr gefreut
hatte, hat er mir verboten, weil er glaubt, ich sei zu Hause unabkömmlich. Es
stimmt schon, meine Mutter ist kränklich, und ich kümmere mich um die
Haushaltsführung ebenso wie um die Buchführung meines Vaters. Trotzdem wäre
meine Abwesenheit für ein paar Tage gar kein Problem gewesen. Aber das wissen
Sie ja ohnehin schon alles.«
    »Du

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