Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
Vom Netzwerk:
keinem hatte sie je dieses Bedürfnis verspürt, sich fallen zu lassen und
sich ihm ganz auszuliefern. Vitórias Beine fühlten sich wacklig an, nie zuvor
hatte sie sich so schwach gefühlt – und zugleich so stark!
    Sie spürte, wie Leóns Hand ihren Hals
hinaufwanderte, um mit ihrem Haar zu spielen. Er würde die Frisur ruinieren,
aber es war ihr völlig gleich. Ihre Kopfhaut kribbelte unter der Berührung.
    Mit einem Ruck löste sich Vitória aus der
Umarmung. Sie hatte Schritte gehört.
    »Was ...?«
    Diesmal war sie es, die ihm mit einer Geste
bedeutete, zu schweigen. Sie horchte angestrengt, doch es war nichts mehr zu hören.
»Mir war so, als bekämen wir Gesellschaft«, sagte sie leise zu León. »Lassen
Sie uns lieber wieder zurückgehen.«
    »Wie grausam Sie sind. Gerade wollte ich von
Ihren köstlichen Früchten naschen.«
    »Oh, aber es ist noch lange keine Erntezeit.«
    »Und mir erschien es, als seien sie überreif.«
    Zum Glück konnte León in der Dunkelheit nicht
sehen, wie Vitória errötete.
    »Ich erlaube Ihnen aber, nachher mit mir zu
tanzen. Kommen Sie jetzt.«
    »Warten Sie.« León hielt Vitória, die bereits
gehen wollte, an der Hand zurück. »Ich habe noch ein Geschenk für Sie.« Er
griff unter sein grobes Leinenhemd und zog eine Kette hervor, von der er einen
Anhänger löste. Er gab ihn Vitória. Sie nahm das Stück wortlos entgegen und
versuchte, im Dunkeln zu erkennen, um was es sich handelte.
    »Was ist das?«
    »Sehen Sie es sich bei Licht an. Ich will Ihr
Gesicht sehen, wenn Sie es erkennen.«
    »Dann wollen wir uns beeilen. Ich brenne vor
Neugier.«
    Vitória lief zurück, so leise wie sie gekommen
war. León folgte ihr lautlos. Als sie sich dem Haus näherten, hörten sie von
dort Beifall aufbranden. O nein, sie hatten die offizielle Bekanntgabe von
Pedros Verlobung verpasst!
    Zurück auf dem Fest, konnte sie nicht fassen,
was sie wenige Minuten zuvor erlebt hatte. Die plötzliche Intimität zwischen
ihr und León wollte ihr wie ein Traum erscheinen. Monatelang hatte sie ihn
nicht gesehen – und dann kommt er einfach daher und küsst sie, als sei es das
Natürlichste der Welt. Und vielleicht war es das auch. Waren sie nicht im
Geiste schon lange ein Liebespaar? Wie oft hatte sie sich ausgemalt, wie er sie
in seine muskulösen Arme nahm, wie seine kräftigen Hände sanft über ihre Haut
strichen, wie sein Blick sie von Kopf bis Fuß liebkoste? Zugegeben, in ihrer
Fantasie waren ihre Begegnungen scheuer gewesen, zaghafter. Da hatte es zuvor
vieler verstohlener Berührungen und subtiler Andeutungen bedurft, bevor an
weitere Vertraulichkeiten überhaupt zu denken war, und vieler kleiner Zeichen
der Verliebtheit, bevor ein Kuss in greifbare Nähe rückte.
    Nun war es anders gekommen. Aber es machte Vitória
nichts aus. Wenn er so um sie geworben hätte, wie sie es sich unter anderen
Umständen erhofft hatte, dann wären sie heute noch nicht über ein flüchtiges Tätscheln
der Hand hinaus. Sie sahen sich so selten, und sie hatten so wenig Gelegenheit,
allein miteinander zu sein, dass León gut daran getan hatte, sie einfach zu überfallen.
    Die Musik, die vielen Menschen in ihren farbenprächtigen
Kostümen und das helle Licht holten Vitória zurück in die Realität. Pedro und
Joana hatten den Tanz eröffnet, allmählich gesellten sich auch andere Paare zu
ihnen. Eduardo und Dona Alma als Zarenpaar boten einen erfreulichen Anblick,
und in den Armen ihres Mannes schien Dona Alma auf wundersame Weise von ihrem
Gebrechen genesen. Sie tanzte wie eine junge Frau und bewegte sich voller
Anmut. Der Zar sah seine Zarin so verzückt an, dass Vitória sich beinahe dafür
schämte. Wie konnten ihre Eltern so verliebt tun? Das war für Leute ihres
Alters weiß Gott unschicklich.
    Sie ging zu einem Grüppchen von Leuten, in dem
auch Aaron stand. Der Arme, sie hatte ihn sträflichst vernachlässigt, dabei
verfolgte er sie schon den ganzen Abend mit seinen Blicken. »Aaron, endlich
komme ich dazu, mich Ihnen zu widmen! Was gibt es Neues aus dem Reich der
Mitte?«
    »Aber Vita, wissen Sie denn nicht, dass ich ein
Chinese aus Kalifornien bin? Das Geburtsland meiner Ahnen habe ich nie gesehen.«
    »Das ist tragisch.«
    »Wie steht's, haben Sie Lust auf ein Tänzchen,
um mich meine traurige Entwurzelung vergessen zu machen?«
    »Liebend gern.«
    Aaron konnte sein Glück kaum fassen. Vitória
schenkte ihm die Gunst des ersten Tanzes! Er nahm sie bei der Hand und führte
sie zur Tanzfläche. Sie gaben

Weitere Kostenlose Bücher