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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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hatte ihr Gesicht natürlich nicht sehen können, als sie sich den Anhänger
bei Licht besehen hatte – sie war vor ihm im Haus angelangt, hatte das Kleinod
bewundert, es schnell in einer Tasche ihres Kleides verschwinden lassen und war
dann gleich von anderen Gästen in Beschlag genommen worden.
    Im Erdgeschoss war alles still. Aus dem Salon hörte
sie nur das Ticken der Standuhr. Sie öffnete die Tür und bemerkte erstaunt,
dass das größte Chaos schon beseitigt war. Die Möbel mussten noch an ihren
angestammten Platz gerückt werden, sonst aber waren alle Spuren des Festes
verschwunden. Kaum zu glauben, dass sich vor gerade einmal zwölf Stunden hier
die Szene abgespielt haben sollte, die ihr Dona Alma wahrscheinlich nie
verzeihen würde. Vitória ging weiter zum Esszimmer. Dasselbe Bild. Der Tisch
stand sogar wieder dort, wo er hingehörte. Ihre Übernachtungsgäste hatten
sicher hier gefrühstückt. Aber wo steckten nur alle?
    In der Küche machte sich Luiza mit einem
riesigen Messer an einem Schinken zu schaffen.
    »Luiza, was ist hier los? Im Haus ist es
gespenstisch still, man sollte nicht meinen, dass es hier überhaupt
menschliches Leben gibt.«
    »Sie sind alle ausgefahren. Senhor Eduardo wollte
ihnen seine Ländereien zeigen.«
    »Alle? Auch Dona Alma?«
    »Ja, auch sie. Sie sah heute wunderbar aus, so
gesund wie lange nicht mehr. Von dir kann man das nicht behaupten.«
    »Nun, lass dir gesagt sein, dass ich mich
ausgezeichneter Gesundheit erfreue, ganz gleich, welche gemeinen Gerüchte du über
mich gehört hast.«
    »Gerüchte, hm?«
    »Ja, allerdings. Sag, was haben sie dir erzählt,
die anderen Sklaven?«
    »Gar nichts, ich habe alles mit eigenen Augen
gesehen. Als du anfingst, mit Senhor Castro so unmöglich zu tanzen, hat Miranda
mich schnell geholt, damit ich es selber sehe. Und weißt du, was sie gesagt
hat? Dass die Sinhazinha es jeden Augenblick mit dem Mann treiben würde!
Jawohl. Und weißt du, was ich gedacht habe, als ich euch sah? Dass du es jeden
Augenblick mit dem Mann treibst!«
    »Herrgott, Luiza, du bist viel zu alt, um das zu
verstehen. Heute tanzt man so, andere haben auch eng getanzt, es ist nichts
dabei.«
    »Nichts dabei, ts, ts.«
    »Schluss damit. Also, haben sie gesagt, wann sie
zurückkommen?«
    »Spätestens zum Abendessen. Du hast noch ein paar Stunden Zeit,
um dich zu schämen.«
    »Ich habe nichts dergleichen vor. Ich gehe
schwimmen. Pack mir ein paar Sachen für ein kleines Picknick zusammen, ich bin
sicher, dass von gestern Abend noch reichlich übrig ist.«
    Mit dem Korb, den Luiza ihr gepackt hatte,
schlenderte Vitória zu ihrer Lieblingsbadestelle. Sie lag etwa eine Viertelstunde
vom Haus entfernt. Der Paraíba do Sul hatte hier eine kleine Ausbuchtung, die
eine Art Teich bildete. Es gab keine starken Strömungen, das Wasser war gerade
tief genug, dass man darin schwimmen, aber auch noch stehen konnte. Vitória
hatte allerdings nicht vor, stehend darin zu baden – der Boden war mit
glitschigem Schlamm und unheimlichen Pflanzen bedeckt, die sie lieber nicht mit
den Füßen berührte. Die Badestelle war zu drei Vierteln von Bäumen und Büschen
umstanden, die Vitória Schutz vor neugierigen Blicken boten. Es war zwar
unwahrscheinlich, dass sich überhaupt irgendjemand hierher verirrte, aber sie fühlte
sich behaglicher, wenn man sie nicht schon von Weitem sehen konnte.
    Das Schwimmen hatten sie und ihr Bruder von
einem Indio gelernt. Nachdem Pedro als kleiner Junge beinahe ertrunken wäre,
hatte ihr Vater den einzigen Mann auf Boavista, der schwimmen konnte, dazu
abgestellt, seine Kinder in dieser Kunst zu unterweisen. Eduardo war nicht
gewillt, ein Kind an diese Wildnis zu verlieren, in der es vor gefährlichen Gewässern
nur so wimmelte. Und er hatte auch nicht vor, seine Kinder allein der Obhut der ama zu überlassen – er wusste, dass sie sich einen Spaß daraus machten,
ihr zu entwischen. Nach zähen Diskussionen mit seiner Frau hatte diese schließlich
ihr Einverständnis zu dem Schwimmunterricht gegeben, obwohl sie bis heute fand,
dass ein wohlerzogener Mensch nichts in dem nassen Element verloren hatte.
    Vitória zog sich bis auf die Unterwäsche aus.
Dann sah sie sich nach allen Seiten um, konnte aber außer ein paar grasenden
Pferden weit und breit niemanden entdecken, der sie beobachtet hätte. Schnell
schlüpfte sie aus ihrem Hemdchen und der knielangen Rüschenunterhose und sprang
ins Wasser. Nackt baden war doch ungleich befreiender als das Baden in

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