Ana Veloso
krächzenden
Stimme immer obszöne Dinge aussprach und die Leute mit ihren scharfsinnigen,
aber unaussprechlichen Beobachtungen in Bedrängnis brachte. Ihr war durchaus
zuzutrauen, dass sie Vitórias Lage über den ganzen Hof brüllte: »Unsere züchtige
Sinhazinha ist in Wahrheit eine trächtige Hündin« oder etwas ähnlich Schreckliches.
»Zélia ist nicht verrückt«, sagte Luiza. »Sie
ist sogar sehr weise. Und sie ist im Umgang mit Kräutern und Naturmedizin
bewandert. Alle haben Angst vor ihr, weil sie eine mãe de santos ist,
nicht weil sie sich so unmöglich aufführt. Das tut sie übrigens nur, um für den
Fall, dass man sie eines Tages bei der Ausübung von Macumba-Ritualen erwischt,
gewappnet zu sein. Keiner würde ihr sonderbares Treiben verdächtig finden,
sondern es ihrer Verrücktheit zuschreiben.«
»Was ist eine mãe de santos?«
»Das ist im Macumba das, was für eine
katholische Messe ein Priester ist.«
»Aber ... sind denn die Sklaven nicht auch alle
katholisch? Wir haben alle taufen lassen und im Sinne Christi erzogen. Wie könnt
ihr da noch afrikanische Kulte abhalten?«
»Keine Angst, Vita. Wir alle glauben an den
lieben Gott und die heilige Dreifaltigkeit. Aber manchmal glaubt der Vater im
Himmel nicht an uns – da muss man dann noch andere Götter zu Hilfe rufen.«
»Luiza!«
»Tu nicht so, Sinhazinha. Du selber glaubst ja ebenfalls
nicht daran, dass dir dein Gott jetzt hilft.«
»Nein. Aber ausgerechnet Zélia!«
»Vertrau mir, Kind. Ich würde nie zulassen, dass
dir etwas zustößt.«
Vitória kauerte zusammengesackt auf dem
primitiven Stuhl. Sie bezweifelte, dass es in Luizas Macht stand zu
entscheiden, ob ihr etwas zustieß oder nicht. Sie nippte am Rest ihrer bereits
erkalteten Schokolade und fühlte sich erbärmlich. Und ihr wurde schon wieder
schlecht.
Tags darauf hatte sich an ihrer
Entschlossenheit, dem ganzen Spuk ein blutiges Ende zu setzen, nichts geändert.
Wenn sie dabei sterben musste, dann wäre es eben so – alles war besser, als für
den Rest des Lebens lebendig begraben zu sein. Sie ging zu Luiza in die Küche
und passte einen Moment ab, in dem sie ungestört waren.
»Sag Zélia, dass ich heute Nachmittag, bevor die
Feldsklaven zurückkommen, mit ihr reden will. Unter vier Augen. Ich treffe sie
bei den senzalas, die ich zu inspizieren vorgebe.«
»Oh, aber ...«
»Was?«
»Normalerweise empfängt Zélia nur zu Zeiten, die
sie bestimmt.«
»Ach, Madame belieben Audienzen zu geben? Nun, diesmal wird sie
tun, was ich ihr sage. Immerhin gehört sie mir.« Als habe Zélia nur auf ein
Stichwort gewartet, sauste sie vor dem Küchenfenster vorbei und brummelte dabei
etwas vor sich hin. Vitória beobachtete sie. Bisher hatte sie die Alte nie
einer genaueren Musterung für würdig befunden. Sie war einfach da, gehörte
dazu, wie ein Möbelstück, das schon immer in einem Raum stand und dessen
Besonderheit man erst wahrnimmt, wenn es plötzlich fehlt. Zélia war klein und
drahtig. Sie hatte ein prominent herausragendes Hinterteil und eine sehr
schmale Taille, sodass ihr Körperbau dem einer Ameise nicht unähnlich war.
Besonders weiblich wirkte sie dadurch aber nicht. Ihre sehnigen schwarzen Beine
hätten auch die eines halbwüchsigen Jungen sein können, und ihre breit
getretenen, schwieligen Füße die eines alten männlichen Feldsklaven. Zélias
Gesicht war noch weniger ansprechend. Sie hatte die typischen Züge der
westafrikanischen Schwarzen, mit sehr dicken Lippen, einer breiten, kurzen Nase
und einer runden Gesichtsform. Auf den Wangen trug sie Schmucknarben, die ihr
weiß Gott wer zugefügt haben mochte, denn so viel Vitória wusste, war Zélia
schon in Brasilien geboren.
Obwohl Zélias Gesicht praktisch ohne Falten war,
wirkte es alt. Alt und wissend. Ja, bei genauerem Hinsehen vermochte Vitória in
dem Gesicht der Sklavin etwas auszumachen, das sie nie zuvor bemerkt hatte. Es
strahlte eine gewisse Würde aus, dazu Intelligenz und Weisheit. Wie konnte sie
das nur all die Jahre übersehen haben? Bestimmt wäre sie bei dieser Frau in
guten Händen.
Als Vitória ihr dann gegenüberstand, überfielen
sie all ihre ursprünglichen Befürchtungen mit doppelter Intensität. Die Alte
war verrückt, und sie selber wäre noch viel verrückter, wenn sie sich auf ihre
Heilkunst verließe.
»Ah, unsere Sinhazinha hat sich besteigen lassen
und nicht an die Folgen gedacht. Wofür haben sie dich so lange auf die Schule
geschickt, wenn du die elementarsten Dinge des
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