Ana Veloso
León schien andere Pläne für den Rest
der Nacht zu haben. »Lass mich dich noch einmal lieben, Vita«, raunte er ihr
zu. Ein neuerliches »hmm« nahm er als Erlaubnis. Sie spürte, wie sich seine
harte Männlichkeit zwischen ihren Schenkeln regte. Er versuchte doch wohl
nicht, sie von hinten zu nehmen? Vitória war sofort hellwach.
»Nein, bitte.« Vitória drehte sich um, damit sie
ihm ins Gesicht sehen konnte. Sie fühlte sich wund und geschwollen an, und
obwohl sie sich keiner neuen Erfahrung mit León verschließen wollte, konnte sie
sich unmöglich vorstellen, sich ihm jetzt noch einmal hinzugeben.
Er nahm das Schmuckstück, das noch immer an Vitórias
Hals hing, in die Hand und betrachtete es nachdenklich.
»Es ist wunderschön«, sagte sie.
»Ich hoffe nur, dass ich dir nicht ein weiteres
Geschenk hinterlassen habe.«
Vitória verstand nicht, was er damit meinte,
fragte aber nicht nach. Seine Stimmung schien auf einmal durch irgendetwas getrübt,
und sie hatte keine Lust, sich ihre eigene Laune davon verderben zu lassen.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Der Morgen dämmerte
bereits, und Vitória schrak auf. Himmel, sie musste sofort nach Hause reiten,
bevor alle auf Boavista wach waren! Die plötzliche Rückkehr in die Wirklichkeit
ließ sie alles um sich herum mit geschärften Sinnen wahrnehmen. Es roch
sonderbar in der Hütte. An der gegenüberliegenden Wand lehnte eine Leiter,
davor stand allerlei Gerümpel – die Alltäglichkeit dieser Gegenstände schien
sie zu verhöhnen. Wie hatte sie in einer solchen Umgebung derart in Verzückung
geraten können? León erschien ihr auf einmal seltsam fremd, dafür, dass sie eben
noch mit ihm die intimste Handlung begangen hatte, die zwischen Mann und Frau möglich
war. Er zog sich an, und es kam Vitória unrecht vor, dass sie ihm dabei zusah.
Sie sammelte ihre eigenen Sachen vom Boden auf, klopfte Stroh und Staub ab und
kleidete sich ebenfalls an. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass die Decke,
auf der sie sich geliebt hatten, mit Blut befleckt war. Es war ihr unsagbar
peinlich. Sie band schnell ihre Stute los, führte sie nach draußen, stieg ohne
Leóns Hilfe auf und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr Unterleib
schmerzte, als sie im Sattel saß.
»Ich muss jetzt fort.«
»Ja.«
Ja?! Er fand kein Wort der Zuneigung oder des
Danks, versuchte nicht, ihr noch einen letzten Kuss zu rauben, fragte nicht,
wann sie sich wiedersehen würden, und erwähnte mit keiner Silbe ihre gemeinsame
Zukunft – sondern sagte schlicht »Ja«? Als könne er es nicht erwarten, sich
ihrer zu entledigen, jetzt, da er bekommen hatte, was er wollte? Das war
ungeheuerlich.
Vitória ritt im Galopp davon, ohne sich noch
einmal nach León umzusehen.
XI
Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte Vitória dem
Herbst nichts abgewinnen. Jetzt, im Mai, hielten endlich wieder moderate
Temperaturen und trockenere Luft Einzug – eine Zeit, zu der sie normalerweise
voller Vorfreude auf den Winter ihre Handschuhe, Schals, Strümpfe und Hüte
hervorkramte, modisches Zubehör, für das es sonst zu heiß und zu feucht war.
Doch diesmal konnte sie sich nicht dafür begeistern. Vitória war schwanger.
Andere Paare versuchten viele Jahre ohne Erfolg, Kinder zu bekommen, und bei
ihr musste es gleich in ihrer ersten Liebesnacht passieren. Wie ungerecht das
war! Viel wütender aber machte es sie, dass León sich seitdem nicht mehr
gemeldet hatte, geschweige denn Anstalten machte, um ihre Hand anzuhalten. Drei
Wochen nach ihrer verhängnisvollen Begegnung hatte sie, nachdem ihre Regel
ausgeblieben war und sie das Schlimmste befürchtete, ihren ganzen Stolz fahren
lassen und ihm einen Brief geschrieben.
León, Geliebter,
du hast mir tatsächlich ein Geschenk
hinterlassen, das mich, wäre ich deine Frau, mit großem Glück erfüllen würde.
Findest du nicht, dass du dich nun endlich auf immer zu meinem Sklaven machen
solltest, bis dass der Tod uns scheidet?
Ich warte, bange, hoffe. Und träume derweil
von deinen Küssen.
In Liebe, Vita
Den Brief hatte sie in einen Umschlag gesteckt,
der an Pedro in Rio adressiert war, zusammen mit der Bitte, er möge ihn
schnellstmöglich an León weiterleiten. Doch auf eine Antwort wartete sie
vergeblich. Tage-, wochenlang war sie vor Ungeduld schier vergangen, hatte die
Post abgefangen und verzweifelt nach einem Brief von León gesucht. Nichts. Bei
jedem Reiter und bei jeder Kutsche, die von fern auf der Straße zu sehen waren,
beschleunigte sich
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