Ana Veloso
entsprechend zu
hausen, nicht abbringen. »Du bezahlst sie dafür, dass sie deine Kleidung in
Ordnung hält, und sieh dir an, wie du herumläufst: fehlende Knöpfe, speckige
Kragen, schlecht gestopfte Löcher. Dabei könntest du wirklich sehr apart
aussehen, wenn du nur wolltest.«
»Unter dem Talar sieht man nichts davon.«
»Wir sehen es. Uns stehst du schließlich nicht
im Talar gegenüber.«
»Aber ihr kennt mich. Ihr liebt mich«, grinste
er frech.
Ja, das stimmte. Joana hatte den besten Freund
ihres Mannes sofort ins Herz geschlossen, weil er Geist und Witz versprühte,
weil er ungeschickt im Alltag und gerissen im Gerichtssaal war, weil er
tolerant und mitfühlend war, wenn es um die Belange unschuldig in Not geratener
Menschen ging, und hart und kompromisslos, wenn er mit Gier, Korruption oder
Dummheit konfrontiert war. Aber sie sah nicht ein, was das mit seiner Garderobe
zu tun haben sollte. Sie hatte Pedro schon oft ins Gewissen geredet, damit er
seinem Freund zu einem eleganteren Auftritt verhelfen möge, aber der hatte den
Plan schulterzuckend weggewischt: »Sinnlos.«
Seit Aarons Familie im letzten Sommer einer
Gelbfieberepidemie zum Opfer gefallen war, die in São Paulo tausende
dahingerafft hatte, war Aarons Nachlässigkeit noch schlimmer geworden. Konnte
man vorher seine Art, sich zu kleiden, noch als studentisch oder bohemienhaft
entschuldigen, so zeugte sie jetzt schlichtweg von einem Mangel an
Selbstrespekt. Wie bestürzt Joana und Pedro über den Tod von Aarons Verwandten
auch waren – nach einem knappen Jahr musste ein junger Mann seiner Trauer allmählich
Herr werden und sich wieder dem Leben stellen.
Joana hoffte, dass Aaron sich wenigstens heute
so ordentlich angezogen hatte, dass man sich für ihn nicht schämen musste. Die
Moreiras waren reiche Kaffee-Exporteure und potenzielle Klienten für Aaron.
Dass sie ihn zu dem Empfang überhaupt eingeladen hatten, verdankte er dem
Umstand, dass der Advokat des Hauses kürzlich das Zeitliche gesegnet hatte,
woraufhin Pedro in den höchsten Tönen die Fähigkeiten des Mestre Nogueira
gepriesen hatte.
Aaron stand bereits vor dem Haus und wartete auf
sie. Sein rotes Haar hatte er mit Pomade gebändigt, und ein Zylinder, dem sogar
im gelblichen Licht der Gaslampen anzusehen war, dass er schon bessere Tage
gesehen hatte, saß schief auf seinem Kopf. Er trug seinen besten Anzug, was
nicht viel heißen wollte. Immerhin hatte er seine Schuhe auf Hochglanz poliert
und sich eine große, rote Blüte ins Knopfloch gesteckt, die, wie Joana sofort
sah, von dem Busch im Vorgarten seines Hauses stammen musste.
»Dona Pia würde dich mit Schimpf und Schande aus
dem Haus jagen, wenn sie wüsste, was du ihrem Hibiskus antust.«
»Oh, aber sie weiß es. Sie hängt den ganzen Tag
und auch die halbe Nacht an ihrem Fenster – nein, sieh jetzt bloß nicht hin! –
und beobachtet alles, was hier vorgeht. Sie duldet es nur, weil sie weiß, mit
was für illustren Leuten ich verkehre.«
Als die Kutsche anrollte, sah Joana aus dem
Fenster und fand Aarons Schilderung bestätigt. Die alte Frau hatte, um es an
ihrem Logenplatz bequemer zu haben, sogar ein Kissen zwischen ihre Arme und den
Fensterrahmen geklemmt.
»Was für ein armseliges Leben«, murmelte Joana. »Sich
nur mit dem begnügen zu müssen, was andere erleben.«
»Es zwingt sie keiner dazu«, erwiderte Aaron. »Ein
Alter aus der Nachbarschaft, ein pensionierter Bahnbeamter, macht ihr sogar den
Hof. Aber sie weist ihn ab – er ist ihr nicht gut genug.«
»So wird es Vita eines Tages auch gehen«, sagte
Pedro in unheilvollem Ton.
Aaron und Joana sahen sich entsetzt an. »Du
willst doch nicht deine hinreißende Schwester mit dieser Warzenhexe
vergleichen?«
»Wer weiß, vielleicht war die Warzenhexe einmal
ein hübsches Mädchen, das sich zu fein für alle Verehrer war. Sie hält sich ja
offenbar bis heute für eine unwiderstehliche Schönheit, die es sich leisten
kann, Interessenten abzuweisen – sie hat noch gar nicht registriert, dass sie
alt und hässlich und fett geworden ist.«
»Vita wird in hundert Jahren noch nicht so eklig
anzuschauen sein wie Dona Pia!«, erregte sich Aaron.
»Wer weiß?«
»Pedro, hör auf, so zu unken. Du verdirbst mir
und Aaron noch die Laune.«
»Ja, erzähl mir lieber etwas über die Moreiras.
Ich muss über diese Leute Bescheid wissen, wenn ich mich als ihr zukünftiger
Advokat empfehlen will.«
Pedro fasste kurz zusammen, was er wusste, während
Aaron aus dem
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