Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
verbringen, hier in der ›Doline‹. Mit wem sie Umgang haben, wer ihre Zimmernachbarn sind, ob sie mit Ärzten und Service zufrieden sind. Kurz gesagt, alles, was sich nachprüfen läßt. Je mehr sie euch erzählen, um so länger habt ihr euch folglich unterhalten. Ganz simpel. Na, was ist?«
»Ziemlich clever!« Kolja mußte lachen. »Und ich hatte es mir schon ausgemalt! Mädchen kennenlernen und ab in die – Büsche, dann lese ich ein Buch, gehe ins Kino und komme wieder, um euch ganz inspiriert was vorzulügen, von wegen schwerer Kindheit und wie ihr Säufer-Vater sie immer geprügelt hat. Aber denkste!«
Shenja sah Alferow forschend an. Reichlich locker, dieser Typ, wenn er so einfach zugab, daß er vorgehabt hatte zu schummeln. Sehr locker und freimütig. Vielleicht sollte man die Finger von ihm lassen, solange es noch nicht zu spät war?
»Die Bedingungen sind klar? Dann besprechen wir das Reglement. Einsatz – hunderttausend. Die Frauen bestimmen wir durch Losen. Angenommen, Kolja, du bekämst die Tussi von Zimmer 102. Jeder von uns legt hundert Riesen auf den Tisch. Gewinnst du – steckst du unsere zweihunderttausend ein. Verlierst du – bekommen wir deinen Einsatz und teilen ihn uns. Soweit klar?«
»Glaub’ schon«, meinte Kolja etwas zögerlich.
»Dann weiter. Die Frau, die du nicht herumgekriegt hast, erhöht den Betrag aufs Doppelte. Das heißt, falls sich der nächste an sie ranmachen will, ist der Einsatz – zweihundert. Und falls noch der Dritte ran muß – vierhundert.«
»Achthunderttausend für sechs Stunden Schwafeln? Na, Shenja, nicht schlecht! Meinetwegen können wir gleich heute anfangen. Auf unsern Erfolg im Schwafeln!« Dobrynin hob sein Glas und kippte es hinunter.
»Dann laßt uns jetzt losen.«
Schachnowitsch nahm die Gästeliste, einen Stift und ein leeres Blatt Papier, das er in mehrere Teile riß. Er schrieb die Zimmernummern auf die Zettel, wickelte sie zu kleinen Kügelchen und warf sie in ein leeres Glas.
* * *
Die Nacht verbrachte Nastja Kamenskaja so gut wie schlaflos, da sie vergeblich gegen eine innere Unruhe ankämpfte. Irgend etwas war um sie herum im Gange. Zuerst der blonde Schönling in der Bar, und zur selben Zeit war jemand in ihrem Zimmer gewesen. Ein gewöhnlicher Dieb? Quatsch, ihr Äußeres entsprach exakt ihren finanziellen Mitteln, man mußte schon blind sein, um nach einem Blick auf ihre T-Shirts und Sweatshirts überhaupt noch das Geringste an Wertgegenständen in ihrem Zimmer zu vermuten. Was aber hatte man sonst bei ihr gesucht? Und hing es mit dem Typen aus der Bar zusammen? Naiv war der nicht, das war sonnenklar.
Andererseits, vielleicht suchte sie ganz umsonst nach einer Falle, wo gar keine war? Nastja kroch unter der Bettdecke hervor und tappte barfuß ins Bad, wo ein großer Spiegel an der Wand hing. Sie begann, sich kritisch zu mustern. Sie hatte eine gute Figur, die Proportionen stimmten, auf ihre Beine konnte sie stolz sein. Das Haar war dicht, lang und glatt, wenn sie es mit einer Bürste auskämmte, fiel es wie eine glänzende Decke über Schultern und Rücken. Die Haarfarbe allerdings war undefinierbar, weder dies noch das, nicht blond, nicht hellbraun. Ebenmäßige Gesichtszüge, gerade Nase, leuchtend helle Augen. Doch alles zusammen machte aus unerfindlichen Gründen nicht wirklich Eindruck. Vielleicht, weil sie kein inneres Feuer besaß, Leidenschaft, Temperament? Daher auch die schlaffe Mimik und der schleppende Gang, und die Abneigung, schicke Fetzen anzuziehen und sich zu schminken. Ganz tief im Innern war Nastja kalt. Dauerfrost und große Ödnis. Nur intellektuelle Arbeit interessierte sie. Als Kind und Jugendliche war sie glücklich gewesen, wenn sie sich nur mit Mathe oder Fremdsprachen beschäftigen konnte. Sie hatte den Abschluß sogar auf einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Schule gemacht und war trotzdem auf die juristische Fakultät gegangen, obwohl Ljoscha, ihr treuer Freund und Banknachbar in der Klasse, versucht hatte, es ihr auszureden. Er selber war bei der Mathematik geblieben und hatte jetzt bereits seinen Doktortitel. Aber sie hatte Spaß an ihrer Arbeit, ihre Lieblingsbeschäftigung war, zu analysieren und Aufgaben zu lösen. Was sie natürlich auch nicht gerade weiblicher machte. Aber was sollte sie machen, wenn alles andere sie nicht interessierte! Sie war nicht einmal imstande, sich richtig zu verlieben, sich so zu verlieben, daß die Knie weich wurden und das Herz stockte. Wie öde alles war . .
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