Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
mitlaufen und schimpfte sich dabei zynisch, kalt und total unromantisch. Ich bin ein moralisches Monstrum, das hatte sie sich in den letzten Tagen schön öfter gesagt. Warum kann ich nicht loslassen und den Flirt mit einem gutaussehenden, begabten Mann einfach genießen? Warum ödet mich das so an? Sie wollte nachsichtig sein mit Damir und zählte diesmal bis zwanzig. Dann stand sie auf, wünschte ihm eine gute Nacht und ging auf ihr Zimmer.
* * *
Pawel Dobrynin hatte es sich über Jahre hin zur festen Regel gemacht: Niemals bei einer Frau bis zum Morgen bleiben. Der Begriff ›Morgen‹ verband sich in seiner Vorstellung keineswegs mit irgendeiner Stellung der Uhrzeiger auf dem Zifferblatt. Entscheidendes Kriterium waren die morgendlichen Attribute: Waschen, Gespräche, gemeinsames Frühstück, kurz gesagt alles, was nur irgendwie an Familienalltag erinnerte. Selbst wenn er erst um zehn Uhr morgens in einem fremden Bett erwachte, sofort zog er sich an und ging. Das war für ihn die einfachste Lösung.
Pawel riß sich von dem Luxuskörper der Brünetten los und sah auf die Uhr – gleich halb vier. Die zweihunderttausend hast du in der Tasche, stellte er mit Befriedigung fest. Zeit, aufs eigene Zimmer zu gehen, um noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.
Die Brünette zeigte Verständnis und hielt ihn nicht auf. Offenbar war sie vom gleichen Schlag wie er, suchte einmalige Vergnügung und keinen Dauerpartner.
Bei Zimmer 240 angekommen, klopfte Pawel sacht. Als er hinter der Tür keinerlei Rascheln hörte, was ihm gesagt hätte, daß sein Nachbar aufgewacht war und ihm gleich aufmachte, klopfte er fester. Nichts. Vorsichtig drückte er auf die Klinke. Die Tür war offen. Dieser Parasit, schimpfte Dobrynin, schläft wie ein Mehlsack und sperrt nicht ab. Wie oft hab’ ich ihm schon gesagt, daß er die Tür nicht offenlassen soll: Seine – Pawels – Lederjacke, der Fotoapparat, der Doppelkassettenrecorder und der übrige Kram kosteten einen Haufen Geld, und noch dazu bewahrten sie in ihrem Zimmer die Gemeinschaftskasse auf, nicht nur seine und Kolja Spieleinsätze, sondern auch die von Shenja. Unglaublicher Leichtsinn.
Pawel schaltete das Deckenlicht ein und setzte zu einer Standpauke an. Sein Zimmerkumpan lag in die Decke gewickelt und mit dem Gesicht zur Wand reglos da.
»He, Kolja!« rief Dobrynin laut. »Wach schon auf! Man hat uns beklaut.«
Kolja rührte sich nicht. Pawel ging näher hin und rüttelte ihn an der Schulter. Da blieb ihm ein Schrei in der Kehle stecken.
* * *
»Was machen wir jetzt bloß?« fragte Swetlana Kolomiez zerstreut. Sie saß in eine Decke gehüllt auf dem Sofa und ließ die Füße baumeln.
»Wir müssen von hier verschwinden, bevor sie kommen. Wir haben noch ungefähr vier Stunden Zeit.«
Wlad wanderte langsam durchs Zimmer, er zitterte vor Kälte, es wurde ihm einfach nicht wärmer.
»Der Mist ist nur, daß wir nicht wissen wohin. Die finden uns doch gleich – hübsches Mädchen in Begleitung eines Liliputaners. Ein malerisches Paar, muß man zugeben.«
»Und wenn wir einfach abhauen und uns verstecken?« schlug Swetlana vor. »Irgendeinen Keller finden oder ein verlassenes Haus und dort eine Zeitlang abwarten?«
»Du hast etwas vergessen. Ich hänge an der Nadel. Kannst du dir vor stellen, wie es mir morgen geht? Wieviel Geld haben wir?«
»Ich habe zwölfhundert, das ist alles. Und du?«
»Nur das Geld für die Rückreise.«
»Vielleicht schaffen wir es bis Tagesanbruch aus der STADT zu sein? Laß es uns probieren. Weißt du, wo der Bahnhof ist?«
»Keine Ahnung, ich bin mit dem Flugzeug gekommen. Und du?«
»Ich auch. Öffentliche Verkehrsmittel fahren jetzt nicht, und die Straßen sind wie ausgestorben, keiner da, den man nach dem Weg fragen könnte. Ein Taxi?«
»Fällt aus. In keiner Stadt arbeitet heutzutage ein normaler Taxifahrer noch nachts. Nur Mafiosi. Dann fallen wir denen direkt in die Hände.«
»Aber vielleicht haben wir Glück, Wlad? Wir halten einfach einen privaten an.«
»Bist du noch bei Trost? Welcher Privatmensch nimmt denn um vier Uhr morgens irgendwelche Unbekannten in seinem Wagen mit? Und wenn er es macht, dann nur mit der Absicht, sie auszurauben.«
»So geht es aber doch nicht, Wladitschek«, schluchzte das Mädchen, »wenn du überall nur Verbrecher siehst, dann gibt es überhaupt keinen Ausweg mehr. Aber es muß einen geben, hörst du? Unbedingt. Ich will nicht sterben. Wlad, du bist doch der Mann, du mußt dir irgend etwas
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