Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Dank ist wenigstens Assanow schon weg.«
* * *
Der junge Kripobeamte, der Nastja gegenübersaß, sah müde aus, sein Gesicht war grau, die Augen geschwollen. Ist ja klar, dachte sie, die arbeiten schon seit vier Uhr früh hier in der ›Doline‹, und jetzt ist fast Mittag. Sie hätte ihm gern geholfen. Und sie wußte, daß sie ihm hätte helfen können.
»Name, Vorname, Vatersname?«
»Kamenskaja, Anastasija Pawlowna.«
»Geburtsjahr und –ort?«
»Moskau, neunzehnhundertsechzig.«
»Wohnadresse?«
»Moskau, Stschelkowskoje Chaussee zweiundvierzig, Wohnung einundfünfzig.«
»Arbeitgeber?«
»Oberste Kriminalbehörde in Moskau, das GUWD.«
Sie erwartete, daß der Mitarbeiter der hiesigen Polizei jetzt erstaunt aufblickte, erfreut lächelte, und alles seinen gewohnten Gang ging: Sie würde sich in die Ermittlungen einklinken, Informationen analysieren, kurz gesagt, all das machen, was sie so gut konnte und liebte. Na, jetzt aber . . .
»Kennen Sie Kolja Alferow?«
»Ja.«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
Nastja beantwortete die Fragen anfangs sehr gewissenhaft, erinnerte sich an jedes kleinste Detail und wagte es sogar, erste Schlüsse zu ziehen. Doch der Kripobeamte, der sich als Andrej Golowin vorgestellt hatte, schien von ihren Bemühungen nichts zu merken. Er versuchte auch gar nicht, mit ihr irgend etwas zu besprechen. Er stellte nur Fragen. Na gut, dachte Nastja, er ist müde, er hat heute schon so viele verhört, ich darf es ihm nicht übelnehmen.
Als die Befragung zu Ende war, meinte sie zaghaft:
»Genosse Oberleutnant, wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, es würde mich freuen . . .«
»Schon gut, wir kommen schon ohne Ihre Hilfe zurecht.« Golowin winkte ab, und seine Stimme war so voller Geringschätzung, daß Nastja dachte, sie hätte einen Nasenstüber bekommen. Weggescheucht wie einen kleinen Pinscher, der sich frech an den Napf eines reinrassigen Dobermanns gewagt hat.
Bis zum Mittagessen blieb noch Zeit, darum beschloß sie, auf die Post zu gehen, um die telegrafische Anweisung abzuholen, die ihr Stiefvater ihr versprochen hatte, und ihn bei der Gelegenheit gleich noch einmal anzurufen.
* * *
In der Petrowka 38 in Moskau hielt Oberst Gordejew die morgendliche Einsatzplanung ab.
»Es liegt eine Meldung aus der STADT vor: Auffindung der Leiche eines gewissen Kolja Alferow, wohnhaft Moskau. Er hat bei der Aktiengesellschaft ›Nord Trade Limited‹ gearbeitet. Hat einer schon mal was von der gehört?«
»Über unsere Informationskanäle – nein«, antwortete sogleich der immer zum Lachen aufgelegte Kolja Selujanow, einer der erfahrensten Mitarbeiter in Gordejews Abteilung. »Da müßten wir mal nebenan fragen.«
Mit ›nebenan‹ war die Abteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität gemeint.
»Bring das mal in Erfahrung.« Viktor Alexejewitsch nickte. »Geh am besten jetzt gleich, kann sein, daß wir irgendwas unternehmen müssen.«
Zehn Minuten später war Selujanow zurück.
»Das Ganze ist ziemlich undurchsichtig, Genosse Oberst. Die Firma ist wohlbekannt, die schleichen um Nord Trade schon herum, wie die Katze um den Brei, aber bisher haben sie denen noch nichts nachweisen können. Obwohl sie überzeugt sind, daß da nicht alles ganz sauber abläuft. Sie halten es für durchaus möglich, daß der Mord am Fahrer des Generaldirektors zurückführt bis nach Moskau.«
»Haben sie um Hilfe gebeten?« Gordejew nahm den Bügel seiner Brille aus dem Mund, auf dem er immer herumkaute, wenn er über etwas Wichtiges nachdachte.
»Na ja . . .« Selujanow schmunzelte. »Sie haben so was angedeutet.«
»Angedeutet also.« Knüppelchen seufzte, nahm den Brillenbügel wieder in den Mund und überlegte, dann geriet er plötzlich in Bewegung. »Übrigens, in der STADT im Sanatorium ›Doline‹ ist unsere Nastja zur Kur. Wo ist denn nur diese Telefonnotiz? Ich hatte sie doch eben noch. Da ist sie ja! Tatsächlich, dieser Alferow war ebenfalls in der ›Doline‹ zur Kur. Dort ist er auch ermordet worden. Na, was sagt ihr? Das nehmen wir doch schon mal freudig zur Kenntnis.«
* * *
Eduard Petrowitsch Denissow war nicht einfach nur verärgert. Er war außer sich vor Zorn.
»Kann mir eigentlich endlich einer erklären, was da vor sich geht in dieser verdammten ›Doline‹? Schon seit vier Monaten hockt dort einer von uns, ohne etwas herauszubekommen. Und am Ende gibt es einen Mord. Sitz nicht stumm da, Tolja, mach den Mund auf, sag was.«
Der Chef der
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