Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
auswärtigen Nummernschildern aufgetaucht. Shenja hatte alle Nummern und die Automarken sorgfältig notiert. Allerdings waren fast alle Wagen bis auf einen nach kaum einer Stunde schon wieder abgefahren. Es lief überhaupt nicht so ab, wie Starkow es beschrieben hatte, als er ihm den Auftrag gab. War aber auch verständlich, schließlich hatte Starkow seine Informationen ebenfalls nur aus dritter Hand. Es wäre seltsam gewesen, wenn alles ohne Abweichungen vor sich gegangen wäre. Aber dafür wußte Shenja ja jetzt genau, wie es ablief. Nur müßte man noch wissen, was eigentlich ablief. Doch alles schön der Reihe nach.
Shenja sah auf die Uhr: bald Mitternacht. Starkow erwartete ihn um halb zwei, er hatte also noch Zeit. Shenja wohnte in einer Personalwohnung in einem dieser kleinen zweistöckigen Häuser auf dem Sanatoriumsgelände. Das war für alle praktisch: für Shenja, weil es seine ständige Anwesenheit in der ›Doline‹ rechtfertigte, und fürs Sanatorium, weil Tag und Nacht ein hervorragender Elektroinstallateur verfügbar war.
Schachnowitsch ordnete seine Notizen, sah sie noch einmal durch, sagte sie sich mit geschlossenen Augen mehrmals vor, bis er zufrieden war, dann zerriß er die Zettel und verbrannte sie im Küchenspülbecken. Er trank noch einen Kaffee und aß ein paar belegte Brote, kochen mochte er nicht. Dann warf er sich seine Jacke über und verließ die Wohnung.
* * *
Swetlana Kolomiez schlummerte friedlich auf dem Sofa. Der Wagen, der sie abholen sollte, war doch nicht gekommen. Wlad hatte ihr zuvorkommend den bequemeren Schlafplatz abgetreten, sich selbst auf den Boden gelegt, jedoch nicht einschlafen können. Leise war er wieder aufgestanden, ins Bad gegangen, hatte sich einen Schuß gesetzt und war dann in die Küche geschlichen, wo er zuerst die Tür zum Zimmer fest zugezogen und dann den Kassettenrecorder eingeschaltet hatte. Anfangs hatte er versucht, im Drehbuch mitzulesen und es mit der Musik abzugleichen, denn immer noch ließen ihm diese sechs Minuten, für die es keine Handlung gab, keine Ruhe. Er hatte hin und hergerechnet und einige Szenen in die Länge zu ziehen versucht, aber dadurch waren sie nur aus dem Vertonungsschema herausgefallen. Am Ende hatte er einfach die Augen geschlossen und zugehört.
Ungefähr zwei Stunden waren vergangen, als er den Recorder ausschaltete. Er fühlte sich jetzt innerlich klar und ruhig. Er wußte jetzt Bescheid.
Er ging hinüber ins Zimmer, setzte sich auf die Sofakante und begann Swetlana über den Kopf zu streicheln. Sofort war sie hellwach, als hätte sie gar nicht geschlafen.
»Was ist los? Kannst du nicht schlafen? Willst du zu mir?« Auffordernd streckte sie die Hand aus.
»Du darfst mich nicht anlügen, Sweta«, sagte Wlad ganz langsam. »Es ist sehr wichtig. Versprich, daß du die Wahrheit sagst.«
»Gut, ich versprecht. Was ist passiert?«
»Haben sie dir gesagt, was am Ende des Films passiert?«
Sie blieb stumm. Dieser Blödmann, warum beschäftigte ihn das so? Sie hatte ihr Wort gegeben, ihn nicht anzulügen. Aber auch den anderen hatte sie versprochen, nichts zu sagen. Mein Gott, sowas Albernes, wie im Kindergarten: Das erste Wort galt mehr.
»Ich frage dich, Sweta«, Wlads Stimme klang erschreckend monoton, »haben sie dir gesagt, was in den letzten sechs Minuten passiert?«
»Ja, sie haben es mir gesagt, ja«, platzte sie wütend heraus. »Ficken werden wir beide, einen Porno machen. Hättest du dir das nicht denken können? Ist ja nun wirklich kein Staatsgeheimnis.«
»Nein, Sweta, die haben dich angelogen. Sie werden dich töten.«
Er sagte das so einfach, daß Swetlana ihm aufs Wort glaubte.
Kapitel 5
TAG SECHS. BEGINNT NACHTS
»Du bist irgendwie nicht ganz da«, bemerkte Nastja, während sie brav Damir folgte, den langen Flur im ersten Stock entlang.
»Nicht so wichtig.« Er winkte ab. »Ich habe mich beeilt zurück zu sein, bevor du dich schlafen legst. Ich bat den Taxifahrer schneller zu fahren, und der ist so gerast, daß wir zweimal fast einen Unfall gebaut hätten.«
»Hattest du Angst?«
»Ein bißchen, ja. Bin immer noch völlig neben mir.«
Er öffnete die Tür zu seiner ›Deluxe‹-Suite, ließ Nastja den Vortritt und half ihr aus der Jacke.
»Ach, die Zigaretten!« Sie stutzte. »Mist, ich muß sie auf der Bank im Park liegengelassen haben. Aber um sie zu holen, ist es jetzt zu spät. . .«
»Du beleidigst mich, Anastasija. Du glaubst doch nicht im Ernst, ich hätte mich um einen Martini für
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