Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
keine Wahl. Er hat mich erkannt. Wir waren fünf Jahre zusammen in der gleichen Mannschaft, haben oft im selben Zelt übernachtet. Er hat gedacht, ich säße schon lange im Knast, und zwar für fünfzehn Jahre.«
»Du könntest durchaus schon wieder auf freiem Fuß sein.«
»Na klar! Für Mord in Verbindung mit Vergewaltigung? Da hätten sie mich einfach wieder rausgelassen! War doch ein Mordsskandal, die ganze Truppe wußte davon. Nachdem ich untergetaucht war, wurden alle samt Trainer zehnmal zum Verhör zitiert, ob sie nicht wüßten, wo ich mich verstecken könnte. Seither habe ich mich nicht mehr in Moskau sehen lassen, immer schön still gehalten, neue Papiere besorgt. Es schien ja zu klappen, keiner hat mich bis jetzt gefunden. Und dann ausgerechnet so was – Kolja Alferow, mein Busenfreund. Hat mich gleich erkannt, zum Teufel mit ihm, obwohl es so lange her ist. Sobald der zurück in Moskau gewesen wäre, hätte er allen unseren gemeinsamen Bekannten erzählt, daß er mich in der STADT gesehen hat. Glauben Sie, die Bullen hätten dann nicht Wind davon bekommen? Irgendein Depp findet sich immer, der einen Tip gibt. Entweder aus Überzeugung oder einfach, um anderen zu schaden. Zumal Alferow mich zusammen mit Sarip gesehen hat.«
»Auch das noch?«
»Ja. Sarip röchelt unter mir, und da taucht Alferow aus dem Gebüsch auf und wirft sich mir an den Hals wie dem besten Freund. Was blieb mir übrig? Er sieht Sarip und erstarrt vor Schreck, und ich starre ihn an und überlege, was ich mit diesem ganzen Schlamassel anfange. Na, da mußte ich ihm eben eins über die Rübe ziehen.«
»Das macht alles noch komplizierter. Kotik, was meinst du?«
»Alferows Leiche wie gewöhnlich verschwinden zu lassen, war unmöglich. Er ist doch Kurgast, man wird ihn suchen. Darum haben wir ihn auf sein Zimmer geschafft und ihn dort gelassen. Er hat das Zimmer zusammen mit irgend so einem Trottel, der dauernd in fremden Betten rumhüpft. Die werden sich zuallererst einmal an ihn halten, werden versuchen, ihm Mord aus Eifersucht anzuhängen oder Totschlag im Suff. Wir haben alles ganz sauber erledigt. Durch den Lieferanteneingang und mit dem Lastenaufzug, niemand hat uns gesehen.«
»Und Sarip?«
»Sarip haben wir vorläufig in das Nebengebäude geschafft, wir konnten ihn ja nicht in der Allee liegenlassen. Der Wagen ist weg zum Tanken. Sobald er zurück ist, schaffen wir ihn zum Pavillon.«
»Bist du sicher, daß man Sarip nicht suchen wird? Seine Familie weiß, wo er hingefahren ist!«
»Seine Familie weiß, daß er psychisch krank ist, deshalb hält er es auch nie lange an einem Arbeitsplatz aus. Pendelt dauernd zwischen der STADT und seinen Jobs hin und her, es kommt vor, daß er wochenlang verschwunden ist, und niemand kümmert sich darum, keiner vermißt ihn. Als wir merkten, daß Sarip aus dem Ruder läuft und er aus dem Verkehr gezogen werden muß, planten wir die Inszenierung eines Selbstmords für den Fall, daß man ihn doch vermißt. Suizid im Zustand einer akuten Psychose ist nichts Außergewöhnliches. Aber wegen Alferow hielt ich es nicht für angebracht, ein Risiko einzugehen. In einer so ruhigen STADT zwei Leichen an einem Tag –das wäre verdächtig.«
»Und wenn man ihn aus dem Bezirk hinausschafft? Dann könnten sie ihn ruhig finden . . .«
»Dazu fehlt die Zeit. In unserer momentanen Situation kommt der Transport einer Leiche in einen anderen Bezirk nicht in Frage. Die Möglichkeit, Leichen offiziell zu melden, haben wir nicht, also lassen wir besser gleich die Finger davon. Ich fürchte, das mit Alferow ist ziemlich dumm gelaufen, aber da kann man nichts mehr dran ändern. Alle Dinger, die wir bisher gedreht haben, konnten wir vertuschen, kein einziges Mal gab es eine Fahndung. Die dilettantische Inszenierung eines Selbstmords kann die Sache nur schlimmer machen. Wir werden ihn im Pavillon liquidieren, wie gehabt.«
»Wie spät ist es?«
»Fünf vor vier. Vor sieben Uhr morgens wird man Alferows Leiche wohl kaum entdecken. Da sein Zimmerkumpan um ein Uhr nachts nicht auf dem Zimmer war, ist er entweder später zurückgekommen und hat sich im Dunkeln schlafen gelegt, ohne etwas zu merken, oder er kommt erst morgen früh zurück. Wir müßten es eigentlich schaffen.«
»Wirklich?« Kotik schnellte vom Sofa hoch und sah aus dem Fenster. Durch das Einfahrtstor des Sanatoriums rasten zwei Polizeiautos mit Blaulicht. »Sieht aus, als ob wir gar nichts mehr schaffen. Laßt uns die Kurve kratzen. Gott sei
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