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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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möchten.
    Präzise und gewissenhaft beantwortete Nastja die Fragen des Kommissars und führte innerlich ein ausführliches Gespräch mit ihm. Sie hatte sich so intensiv auf diese Unterhaltung vorbereitet, daß sie sich nicht damit abfinden wollte, daß der Kommissar sie auf Distanz hielt. Dann eben nicht laut, dann eben nur für sich, aber was sie zu sagen hatte, das würde sie auch sagen.
    »Als Sie von Ismailow zurück auf Ihr Zimmer gingen, sind Sie da an Zimmer Nummer 240 vorbeigekommen?«
    »Ich weiß nicht, wo Zimmer 240 liegt. Wenn es in demselben Flügel liegt wie die ›Deluxe‹-Suite, dann bin ich daran vorbeigekommen. Wenn es in einem anderen Flügel liegt, dann nicht.«
    »Haben Sie denn nicht auf die Nummern an den Zimmern geachtet, während Sie durch den Flur gingen?«
    »Nein. Außerdem war es im Flur dunkel.«
    »Hat Ismailow Sie begleitet?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Es bestand keine Notwendigkeit. Ich habe keine Angst im Dunkeln und verirre mich auch nicht gleich wegen drei Tannen.«
    Angesichts dessen, was mir Damir tagsüber gesagt hat, kam es mir doch seltsam vor, daß er mich nicht begleitet hat. Heißt das, am Abend zuvor und sogar am nächsten Vormittag hätte noch irgendeine Gefahr existiert, und Damirs Nähe hatte ausgereicht, um sie zu verhindern? Aber auch an dem Abend war die Gefahr anfangs noch da, nicht umsonst hat er im Park nach mir gesucht. Dann hatte sie sich plötzlich in Luft aufgelöst, als wäre nichts gewesen, und Damir hielt es selbst um zwei Uhr nachts nicht mehr für nötig, mich vom ersten Stock bis hinauf in den fünften zu begleiten.
    »Vielen Dank, Anastasija Pawlowna. Ich bin sicher, es war nicht unser letztes Gespräch, ich werde Sie noch einmal vernehmen müssen.«
    »Entschuldigung, darf ich dennoch eine einzige Frage stellen?«
    »Bitte sehr. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich sie beantworten werde.«
    Geduld, meine Liebe, Geduld, es fehlt nur noch ein bißchen, dann klärt sich alles und bekommt seine rechte Ordnung.
    »Haben Sie in den Taschen der Oberbekleidung von Alferow oder in seinem Zimmer vielleicht eine Zigarettenschachtel Marke ›Askor‹ gefunden? Eine schwarze Hardbox mit goldener Schrift.«
    »Nein. Haben Sie noch weitere Fragen, Anastasija Pawlowna? Dann bedanke ich mich noch einmal, auf Wiedersehen.«
    Nastja wußte nicht mehr, wie sie in ihr Zimmer zurückgekommen war. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Na gut, er war ein Flegel, der es für unter seiner Würde hielt, mit einer Frau berufliche Fragen zu besprechen. Aber schließlich war er doch kein Dummkopf! Warum bloß hatte er nicht auf ihre letzte Frage reagiert? Er hätte es müssen, er wäre einfach verpflichtet gewesen zu fragen, was mit der Schachtel sei, warum sie sich bei Alferow finden sollte. Dann hätte sie ihm erklärt, daß sie die Schachtel auf der Parkbank vergessen hatte. Falls Kolja sie nicht gefunden hatte, war das eine Sache. Doch falls er sie in der Hand gehabt oder eingesteckt hatte, dann hätte man sie auch bei ihm finden müssen. Hatte man? Nein. Wo war sie dann? Herausgefallen, als man ihn ermordete? Das bedeutete, er war nicht auf seinem Zimmer ermordet worden. Welche Überlegungen und Folgerungen sich daran anschließen mußten, war ihr völlig klar. Aber vollkommen unverständlich war ihr, wieso dies nicht auch für den Kommissar klar war, der sie vernommen hatte.
    Sie verriegelte die Tür von innen und fing an, sich ganz langsam einen Kaffee zu machen. Ihre Hände zitterten, die Finger waren wie taub und wollten kaum gehorchen, ihre Beine fühlten sich an wie fremd. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte, als ob ein ganzer Schwarm Fliegen im Zimmer hin und her schwirrte. Innerlich, ganz tief drinnen, breitete sich nach und nach eine tödliche Kälte aus, die sogar Finger und Zehen erstarren ließ, wie ihr schien. Die Freude an der Arbeit war dahin. Dafür war das Gekränktsein wieder da und hatte Überdruß und Schwermut mit sich gebracht.
    * * *
    Die Menschheit teilt sich in MÄNNER und FRAUEN. Diese banale Wahrheit hatte sich, statt einfach nur die biologische Tatsache festzuhalten, in ein Gesetz verwandelt, in eine Anleitung zum Handeln, an der sich die Menschheit orientierte, um ihr wackliges Verhaltensgerüst aufzubauen. Beim Voranschreiten dieses ›Baus‹ war die Regel erweitert worden. So waren neben den Grundkategorien MANN und FRAU die ergänzenden, sozusagen fakultativen Kategorien FRAUÄHNLICHE MÄNNER und MANNÄHNLICHE FRAUEN

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