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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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gemerkt hatte. Und Nastja Kamenskaja war die Analytikerin. Wenn man ihr gegenüber zu Anfang auch mehr als skeptisch war – denn alle außer Knüppelchen hatten noch lange an den althergebrachten Spielregeln festgehalten – so war Nastja inzwischen von allen nicht nur geliebt und geschätzt, man ließ jetzt überhaupt nichts mehr auf sie kommen.
    Hier aber war Nastja auf fremdem Terrain, wo man das alte Spiel nach den üblichen Regeln spielte: Eine Frau war kein Mensch, und bei der Kripo hatte sie schon gar nichts zu suchen. Niemals und unter gar keinen Umständen konnte eine Frau klüger sein als ein Mann, deshalb würde sie den geistigen Teil der Kripoarbeit niemals besser machen als der Herr Kriminalkommissar, von der physischen Arbeit ganz zu schweigen. Die Menschheit, darunter auch einzelne Vertreter der Gattung Kriminalbeamter, hatte längst erkannt, wie unsinnig die vor Urzeiten ausgedachten Spielregeln waren, doch selber die einst aufgerichteten Schranken zu durchbrechen, dazu fehlte ihnen bisher die moralische Kraft.
    Was sollte Nastja Kamenskaja machen, wenn sie bereits zweimal von den Repräsentanten des fremden Terrains zurückgewiesen worden war, erst von dem Kripobeamten Andrej Golowin, dann von dem Kommissar (er hatte seinen Namen genannt, doch so undeutlich, daß Nastja ihn nicht genau verstanden hatte)? Konnte sie vielleicht zu einem der beiden sagen: Hör mal, überprüf das doch . . . weißt du was, mach mal. . . hör auf mich, ich meine es ernst. . . Nein, solche Töne konnte sich nur der erlauben, der mit der hiesigen Polizei alle möglichen und unmöglichen Spiele schon mal durchgespielt hatte, die nicht ganz legalen inbegriffen. Doch wenn du eine Frau warst, die noch dazu Anspruch anmeldete auf eine seit altersher von Männern ausgeführte Arbeit und die dann auch noch versuchte, den Männern Ratschläge zu erteilen, wie man diese Arbeit besser machen könnte, dann, meine Liebe, standen deine Chancen minus null Komma acht. Wovon sich Nastja nicht erst in diesem Moment hatte überzeugen können. Von Anfang an war sie in der STADT nicht ganz ernst genommen worden, man hatte keinen Hehl aus der allgemeinen Auffassung gemacht, daß eine Frau bei der Kripo ein Ding der Unmöglichkeit sei. Und als der Mord passiert war, und Nastja offen ihre Dienste angeboten hatte, war ihr sehr deutlich zu verstehen gegeben worden, daß eine Frau wissen sollte, wo sie hingehört.
    Nastja hatte sich große Mühe gegeben, das alles zu überhören. Sie wollte wirklich behilflich sein und war dafür sogar bereit, gegen ihr eigenes Ehrgefühl zu arbeiten. Doch schließlich hatte alles seine Grenzen. Auch die Kaltblütigkeit, auch die besonnene Vernunft. Die erste Welle des Zorns hatte sie überstanden, sie hatte es sogar fertiggebracht, auf dem Wellenkamm reitend, ein Stück voranzukommen, doch jetzt war die zweite Welle über sie hereingebrochen, und Nastja schluckte Wasser.
    * * *
    Es klopfte schon zum zweiten Mal an der Tür. Das erste Mal, vor etwa einer Stunde, war sie auf dem Bett liegengeblieben und hatte nicht reagiert. Jetzt saß sie an ihrer Übersetzung, das Klappern der Schreibmaschine war weithin hörbar, und es gab keine andere Möglichkeit, als zu öffnen.
    »Anastasija, was geht hier vor? Zeigen Sie mir Ihren Kurpaß«, forderte der behandelnde Arzt Michail Petrowitsch sie auf. »Das habe ich mir gedacht. Sie haben schon seit zwei Tagen keine Behandlungen mehr bekommen und machen keine Übungen im Schwimmbad. Fühlen Sie sich nicht wohl? Warum gehen Sie nicht in den Speisesaal?«
    »Ich. . . Ich fühle mich nicht ganz gesund«, murmelte Nastja unsicher.
    »Warum kommen Sie dann nicht zu mir? Hier ist ein Sanatorium und kein Zeltlager, ich bitte das zu berücksichtigen. Bei den geringsten Gesundheitsproblemen gehen Sie sofort zum Arzt. Verstanden?«
    »Verstanden. Es geht mir schon wieder besser. Ab morgen gehe ich wieder in den Speisesaal und zu den Behandlungen. Ehrenwort, Michail Petrowitsch.«
    »Das will ich hoffen. Aber ich möchte wissen, worin Ihr Unwohlsein besteht. Haben Sie keinen Appetit? Habe ich Ihnen vielleicht die falsche Behandlung verschrieben?«
    »Wohl kaum. Eine leichte Depression.« Nastja lächelte.
    »Hat Sie dieses traurige Ereignis sehr getroffen?«
    »Das auch. Achten Sie nicht weiter darauf, Michail Petrowitsch. Eine gewöhnliche Laune. Heute werde ich, mit Ihrer Erlaubnis, noch ein wenig melancholisch sein, aber morgen früh ist alles wieder in Ordnung.«
    Der Arzt ging

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