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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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unzufrieden weg, aber gegen Nastjas Sturheit kam er nicht an. Auf das Abendessen hatte sie verzichtet.
    Und Damir war immer noch nicht da . . .
    Etwa um zehn Uhr abends klopfte es wieder. Vor der Tür stand Regina Arkadjewna.
    »Ein Telegramm für Sie, Nastja. Ich bin beim Empfang vorbeigekommen, ich soll es Ihnen geben.«
    Die Nachbarin hielt ihr das geöffnete Telegramm hin. Wer ist denn hier so neugierig, schoß es Nastja durch den Kopf, daß er es nicht aushält und das Telegramm öffnen muß? ›Bitte rufe dringend zu hause an küsse papa.‹ Ihr wurde mulmig zumute. Wenn zu Hause etwas Schlimmes passiert war, dann hätte in dem Telegramm nicht das beruhigende Wort ›bitte‹ gestanden. Wenn man ›bitte‹ sagt, dann ist das eine Bitte und kein Befehl, und einer Bitte muß man nicht unbedingt nachkommen. Andererseits: ›dringend‹. Was ist das für eine Dringlichkeit? Sie hatte ihn doch erst gestern angerufen, als sie die Geldüberweisung erhalten hatte.
    »Was soll ich tun?« fragte sie verwirrt. »Mein Vater bittet mich dringend, ihn zu Hause anzurufen. Es ist aber schon zu spät, um in die STADT zu gehen, das Fernmeldeamt schließt um einundzwanzig Uhr.«
    Regina Arkadjewna nahm Nastja entschlossen an der Hand.
    »Gehen wir. In so einem Notfall kann man sicher etwas tun. Vielleicht haben wir Glück, und wir können aus dem Büro des Direktors telefonieren.«
    Nastja schleppte sich hinter der Nachbarin her, sie fühlte sich wie ein Lamm, das man zur Opferbank führt. Ihr Stiefvater wollte ihr offenbar etwas von Gordejew ausrichten. Daß ihr Chef nicht versucht hatte, über die örtlichen Polizeiorgane mit ihr Verbindung aufzunehmen, sagte eine Menge. Zum Beispiel, daß er vorfühlen will, ob er eventuell dienstlich mit ihr rechnen kann. Offenbar will er jemanden herschicken und sich erkundigen, wie derjenige sich am besten verhalten soll, je nachdem, für wen die Gäste des Sanatoriums Nastja Kamenskaja halten: für eine Übersetzerin oder eine Mitarbeiterin der Kriminalpolizei.
    Vor der Direktion muß es ein Vorzimmer geben, dachte Nastja, und dort könnte eine Telefonanlage mit mehreren Apparaten stehen. Dann ist ein Anruf vom Zimmer des Direktors aus eine unverzeihliche Dummheit. Das Gespräch könnte mitgehört werden. Sollte sie die Sache abblasen? Und unter welchem Vorwand? Du hast ein Telegramm von zu Hause mit der Bitte, dringend anzurufen, man führt dich augenblicklich zum Telefon, und was machst du? Willst du dir unterwegs das Bein brechen? Es gab keinen Ausweg, sie mußte von dem Apparat aus anrufen, der ihr angeboten wurde. Schließlich ist es ja möglich, daß überhaupt nichts passiert, beruhigte sich Nastja. Wem bringt es etwas, meine Gespräche abzuhören? Eine kleine Übersetzerin ruft zu Hause beim geliebten Papachen an. Was ist daran schon Besonderes? Es wird alles gutgehen, es wird alles gutgehen, bestärkte sich Nastja.
    Inzwischen waren die beiden Frauen beim Zimmer der diensthabenden Schwester angelangt.
    »Olja«, wandte sich Regina mit süßer Stimme an sie, »kannst du uns nicht das Zimmer von Georgij Wassiljewitsch aufschließen? Meine Nachbarin hat ein Telegramm von zu Hause bekommen, sie muß dringend ein Ferngespräch führen.«
    Olja nickte schweigend und holte einen Schlüsselbund aus der Tischschublade. Als Nastja das Vorzimmer betrat, warf sie sofort einen Blick auf den Schreibtisch der Sekretärin: Wie erwartet gab es mehrere Telefone. Vielleicht sollte sie von hier aus anrufen? Dann konnte sie wenigstens sicher sein, daß im Zimmer des Direktors niemand mithörte. Aber hier würden ihr Olja und Regina keine Ruhe lassen . . .
    Die Krankenschwester hatte inzwischen das Zimmer des Direktors aufgeschlossen und das Licht angemacht. Nastja trat ein und die Krankenschwester schloß diskret die Tür zwischen dem Direktionszimmer und dem Vorzimmer, obwohl sich Nastja nur mit Mühe zurückhalten konnte, um nicht loszuschreien: »Machen Sie die Tür nicht zu, damit ich den Tisch der Sekretärin und die Telefonanlage im Auge behalten kann.«
    Es wird gutgehen, es wird nichts passieren, alles wird gutgehen, bestärkte sie sich und wählte die Moskauer Vorwahl und die Nummer ihres Stiefvaters.
    »Hallo!« ertönte im Hörer die Stimme von Leonid Petrowitsch, und in dieser Sekunde registrierte Nastjas feines Ohr ein kaum hörbares Klicken, ja nicht einmal ein Klicken, eher ein Surren. Das bedeutete, es war nicht gutgegangen. »Papachen, ich bin’s. Sprich deutlich, du bist sehr

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