Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
für einen Unterschied, wer an der Aufdeckung eines Verbrechens interessiert ist – die Mafia oder die Polizei. Wichtig ist, daß es um ein Schwerverbrechen geht, daß die Leute, die dahinterstecken, gefährlich sind und noch weitere unschuldige Opfer denkbar sind. Man sollte nicht ›Vorlieben‹ mit ›Prinzipien‹ verwechseln, sagte sich Nastja. Wenn ich bei der Überführung von gefährlichen Verbrechern und dem Schutz ihrer zukünftigen Opfer behilflich sein kann, dann muß ich alles tun, was in meiner Macht steht. Man muß nur die Bedingung stellen, daß diese Leute, falls sie entdeckt werden, nicht Opfer eines Vergeltungsaktes werden, sondern der Justiz übergeben werden. Das ist wohl die wichtigste Bedingung. Gut wäre es, einen Weg zu finden, um ihre Gewährleistung zu sichern.
Nastja zerriß die mit Zeichnungen vollgekritzelten Blätter, die ohnehin nur ihr verständlich waren, warf sie in die Toilette und legte sich zu Bett. Sie zitterte etwas, sei es vor Kälte, sei es von der Nervenanspannung. Sie erinnerte sich an ihren Anruf bei Ljoscha und wunderte sich nochmals über ihre Gleichgültigkeit. Eine Frau hatte den Hörer abgenommen und mit freundlicher Stimme mitgeteilt, daß ›Alexej Michailowitsch mit dem Hund rausgegangen‹ sei. Nastja wußte, daß ihr Freund manchmal unerwartete Ausbrüche von Leidenschaft hatte, die von langbeinigen und vollbusigen Schönheiten hervorgerufen wurden. Diese Ausbrüche dauerten zwei, drei Tage an, dann kam Ljoscha zu ihr und erzählte mit Entsetzen, ›wie langweilig sie alle seien, die Natur hätte ihnen einen Intellekt gegeben, aber sie seien nicht in der Lage, ihn zu benützen‹, sie dagegen, Nastja, sei der einzige Mensch, mit dem er seine Zeit verbringen könne. Bei allen anderen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts ermüdete Ljoscha innerhalb einer halben Stunde. Es war völlig klar, daß die Dame mit der angenehmen Stimme im Begriff war, über Nacht bei Ljoscha zu bleiben, sonst hätte dieser das Ausführen des Hundes mit der Begleitung seines Gastes zur nächsten Haltestelle verbunden. Ich bin nicht einmal eifersüchtig, dachte Nastja resigniert. Mein Gott, habe ich denn überhaupt keine Empfindungen? Warum bin ich nur so hartherzig! Ist es möglich, daß ich nur zwei Dinge spüren kann: Kränkung und Angst? Eine analytische Maschine ohne menschliche Gefühle.
* * *
Swetlana Kolomiez und ihr Schutzengel, der kleine Wlad, wohnten in der beheizbaren Winterdatscha von Denissow in Gesellschaft von zwei Leibwächtern. Swetlana genoß den Gratisurlaub, schlief viel und ging auf dem riesigen, mit Bäumen bewachsenen Grundstück spazieren. Sie wollte über nichts nachdenken, wie sie überhaupt das Denken nicht besonders liebte.
Wlad hatten sie alles gegeben, was er für sein Wohlbefinden brauchte. Aber er machte sich im Unterschied zu Swetlana weiter Sorgen.
»Die Hauptsache ist«, wiederholte er unermüdlich, »daß wir uns nicht verplappern, was den Film angeht. Solange wir nicht absolut sicher sind, daß wir nicht unseren Filmleuten in die Hände gefallen sind oder ihren Freunden, müssen wir schweigen. Andernfalls werden wir sofort zu gefährlichen Mitwissern.«
»Ist schon gut, ist schon gut.« Swetlana winkte müde ab.
Sie verstand nicht, worin die Gefahr bestehen sollte, verließ sich aber vollständig auf Wlad, deshalb antwortete sie auf alle Fragen Starkows, der täglich zu Besuch kam, immer mit ein und demselben Märchen: Sie hätte eine Anzeige gelesen, sei zu einem Vorstellungsgespräch gefahren, hätte denen erlaubt, sie im Schwimmbad zu filmen und warte auf die Ergebnisse, ob sie dem reichen Türken gefalle. An dem Abend, als der Brand ausbrach, hätten sie Wlad zu ihr in die Wohnung gebracht und ihr gesagt, daß er hier übernachten müsse und bis zum Morgen bleiben würde. Mehr wisse sie nicht.
Wlad seinerseits sang hartnäckig das Lied davon, wie ihm ein Unbekannter gefolgt war, der sich als Semjon vorstellte und ihm eine gutbezahlte Arbeit versprach, sich aber nicht weiter über diese Arbeit äußerte. Er, Wlad, brauche Geld wie Heu, da er drogensüchtig sei und an der Nadel hänge, deshalb habe er sich über das Angebot gefreut, ohne weiter nachzufragen, und er sei in die STADT gefahren, wo man ihn abgeholt, zu Swetlana gebracht und ihm versprochen habe, am Morgen würde man ihm alles erzählen. Aber leider sei der Brand dazwischengekommen. Das sei alles. Wlad sah, daß Starkow ihm nicht glaubte. Aber er hatte Angst, die Wahrheit zu
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